Briefe der ausgewanderten Weierhöfer nach Hause

Die Neuankömmlinge pflegen einen lebhaften Briefwechsel mit ihren in der Heimat verbliebenen Verwandten. Diese Briefe sind ein wichtiger Kanal, um von ihrem neuen Leben zu berichten und die Verbindung zu den zurückgebliebenen Familien aufrechtzuerhalten. Die Pfälzer in Iowa schildern detailliert die Herausforderungen und Erfolge ihres Neuanfangs in der neuen Welt – von den Mühen des Siedleralltags bis hin zu den Fortschritten beim Aufbau ihrer Farmen und Gemeinden.
Besonders prägnant sind die Berichte über das harte Leben auf der Prärie, die oft von der Notwendigkeit zeugen, sich gegen widrige Umstände durchzusetzen. Gleichzeitig enthalten die Briefe auch Nachrichten von Hoffnung und Optimismus, die die Verwandten in Deutschland dazu ermutigten, ebenfalls den Schritt über den großen Teich zu wagen. Diese Korrespondenz bietet nicht nur Einblicke in den Alltag der Auswanderer, sondern hilft auch, die emotionale Distanz zu überbrücken und die Bindungen zwischen den Familienmitgliedern über den Atlantik hinweg zu stärken.

Die Weierhöfer Auswanderer in den USA unterhalten einen regen Briefwechsel mit den Verwandten in der alten Heimat. Sie beschreiben ihr neues Leben, laden ein nachzukommen, aber beklagen auch die Trennung von ihren Lieben.

Peter Schowalter, Maries Weierhöfer Nachbar, berichtet von seiner Überfahrt und der neuen Heimat

Peter Schowalter aus Ins Schowalters war bereits 1845 mit seiner Familie nach Amerika ausgewandert und hatte die gleiche Route genommen, die Marie später nehmen sollte. Am Anfang leben sie in Hayesville, Ohio, und kaufen dort eine Farm. Aber schon 1852 verkauft Peter seine Farm und zieht mit seiner Familie nach Donnellson, Iowa. Somit kommen, sie im gleichen Jahr wie Marie dort an und, wie Marie, kaufen sie eine Farm und lassen sich dort nieder.

In einem Brief von 1845 beschreibt Peter seinem Vater, Jakob Schowalter, die gerade hinter sich gebrachte Reise. Sicher wurde der Brief auf dem Weierhof herumgereicht oder vorgelesen, so dass Marie, noch dort lebend, wahrscheinlich den Inhalt kannte.

Wir waren kaum 2 Stunden auf See, da brach die Seekrankheit schon an allen Ecken los. Von uns bekam sie zuerst meine Schwiegermutter und dann meine Frau, aber bis abends hatten wir sie alle. Wir lagen mit den Kleidern in den Betten. Die ganze Nachte ging’s Erbrechen ziemlich fleißig her. Des Morgens um 8 machte sich unser Risser [weiteres Mitglied er Auswanderergruppe] wieder auf die Beine und leerte die Gefäße einmal aus, daß es wieder Platz gab. […]

Am Abend des 15. Juli betraten wir den „freien, amerikanischen Boden“. Wir fuhren mit mehreren Karren unsere Sachen in die Stadt. Als wir abgeladen hatten, war es schon Nacht und wir waren so erschöpft, daß wir kaum mehr stehen konnten. Das war ein harter und langer Tag. Wir hatten den ganzen Tag nichts gegessen und doch immer schwer heben und tragen müssen. Dabei war eine Hitze, daß wir sie fast nicht ertragen konnten. In der Nacht konnte ich kein Auge zu tun, denn man brauchte nichts zu tun, als sich abzutrocknen und die Wanzen zu jagen; es war als ob man in einem Backofen stecke. […]

Bis zum 17.7. abends 5 Uhr hielten wir uns in New York auf, dann gingen wir mit dem Dampfboot den schönen Hudson-Fluß hinauf. Das war eine angenehme Fahrt. Wir waren alle froh, daß wir aus der heißen Stadt herauskamen. Das Dampfboot, mit welchem wir nach Albani gelangten, war sehr groß und schön gebaut – ein Rheindampfboot würde man hineinstellen können.

1848 schreibt Peter einen Brief an seinen Bruder, Adam Schowalter, in Friedelsheim und beklagt, dass es kein gutes Wild in Ohio zu schießen gibt.

Wildbret gibt’s nicht viel, das Schießen wert ist. Die Hasen sind nur halb so groß wie bei Euch und ebenso auch die Feldhühner, Hirsche sind keine mehr da und von Rehen habe ich noch nichts gehört, ob es solche in den Vereinigten Staaten gibt. Fasanen habe ich schon mehrere geschossen, es sind aber auch wenig da. Eichhörnchen gibt es aber die Menge, und das ist die Hauptjagd der Amerikaner; sie werden zu Hunderten geschossen und als Delikatesse verzehrt. Doch ich kann von ihrem wohlschmeckenden Fleisch nichts sagen, denn ich habe es noch nicht versucht, mir ist bis jetzt ein Stück trockenes Brot und Wurst dazu lieber.

Im Dezember 1852 berichtet Peter seinem Vater über den Umzug nach Donnellson. Er deutet an, dass ihm die Gesellschaft, vielleicht die mennonitische Gesellschaft in Hayesville, nicht gefiele. Da es immer mehr Auswanderer aus der Heimat nach Donnellson zieht, entschließt sich auch Peter mit seiner Familie dorthin weiterzuziehen.

In Ohio hatten wir 80 Acker, alles gut eingerichtet und schön beisammen, keine Schulden. Zwar auch kein bares Geld, denn ich verwendete alles, was ich darauf schor, aufs Land. Und als wir es fast fertig in der Reihe hatten – eine neue Scheune hatte ich schon verakkordiert [in Auftrag gegeben], das Holz, Bord, Latten und Schindeln zum Dach, alles war da, der Platz geräumt, so dass sie in sechs Wochen dagestanden hätte – da verkauften wir alles und gingen fort. Wir lösten zwar etwas mehr ein, als wir im Ankauf gaben, aber doch nicht soviel mehr, als wir hinein verwendet hatten. Wir mußten unsere ganze Einrichtung, alles neu angeschafft, unter dem halben Preis wieder hergeben. Dazu die Reisekosten hierher und schon beihnahe 2 Jahre aus dem Sack zehren, daß wir also bei unserem hiesigen Anfang einige hundert Dollar kürzer daran sind als bei unserem Aufbau in Ohio.

Ich hoffe aber, wenn uns der liebe Gott gesund erhält und seinen Segen dazu gibt, daß wir es wieder packen können. Und dafür mag’s hier in Zukunft für die Kinder vielleicht besser sein. Ich bin aus Ohio fort wegen der Gesellschaft und nicht um etwas zu profitieren.

Jakob, Maries Sohn, berichtet über Erntearbeiten

Jakob, der vor seiner Mutter und seinen Geschwistern bereits 1850 ausgewandert war, berichtet seinem Onkel, Heinrich Krehbiel, in Ramsen über Erntearbeiten im Sommer 1853.

Liebe Freunde,

ihr werdet schon lange auf einen Brief gewartet haben, aber es war uns nicht möglich früher zu schreiben. Wir waren zu der Zeit, als Euer Brief kam, am Scheuerbauen und hatten noch Feldarbeit, daß wir zum Schreiben garnicht kommen konnten, und so ging es fort bis in den Herbst hinein. Jetzt steht die Scheuer Gottes fertig da und wir atmen jetzt wieder freier auf. Wir waren doch zu unserer Fünfe und die Arbeit nicht gering.

Wir haben dieses Frühjahr 45 Acker mit Sommerweizen und Hafer gesät, 45 Acker gepflügt und mit Welschkorn [Mais] besamt – es wird alles mit der Hand gelegt und mit der Harke zugescharrt. […] Von 50 Ackerwiesen hatten wir das Heu zu machen (davon haben wir aber 30 Acker machen lassen). Beim Einfahren waren wir zu dritt. Zuerst haben wir mit einem Rechen, voran dem ein Pferd gespannt wird, aufgezogen. Walmen gerecht [aufhäufeln]. Wie in Deutschland, wird es jetzt auf Haufen gesetzt. Man kann in einem halben Tag 10 Acker zusammenrechen. So bleibt es 2-3 Tage sitzen. Dann geht man zu dritt am Einfahren. Zwei sind an dem Stock, der dritte nimmt ein Pferd, macht eine Kette um den Haufen, spannt das Pferd daran und fährt so den Haufen dorthin, wo gestockt wird. Und das geht so schnell, daß die 2 am Stock über Hals und Kopf zu tun haben, wenn sie so viel wegschaffen wollen, als der Eine hinfährt. Ihr denkt vielleicht, dabei gehe die Hälfte verloren – auf einige Halme kommt es den Amerikanern nicht an –, aber es geht wirklich nicht so viel verloren, als man glaubt, wenn der, der fährt, versteht, die Kette richtig anzulegen.

Als das Heu fertig war, stand die Ernte in voller Reife da. Es ist hier nicht wie in Deutschland, daß heute dieser Acker reif wird und in mehreren Tagen der andere. Es kommt alles auf einmal, nur der Hafer kommt ein wenig hinternach. Am 7. Juli haben wir angefangen und am 28. war alles gebunden. Wir hatten 66 Acker Frucht [Getreide], aber nur 7 Tage an unserer Frucht gearbeitet. In der übrigen Zeit haben wir drei Welschkorn gepflügt und zwei haben beim Vetter Jakob Krehbiel und Eymann Frucht abgemacht.

Ich komme hier wieder auf die praktische Einrichtung, deren sich der Amerikaner bedient, um die fehlenden Hände zu ersetzen, die Maschinen. Ich bin froh, daß es eine solche Einrichtung gibt, wo man anstatt Menschen Pferde gebraucht, um die Frucht abzuschneiden. Das amerikanische Fruchtreff [Sense mit Holzsprossen], womit von Hand abgemacht wird, ist wie alle solche Werkzeuge, von solcher Größe, daß es mir Furcht einjagte, als ich das erste sah. Wenn einer einmal tüchtig schwitzen möchte, so braucht er hier keinen Tee zu trinken, er braucht nur mit diesem Reff zweimal um einen Acker herumzumähen und man kann ihm garantieren, daß er keinen Faden mehr auf dem ganzen Körper behält.

Wir, Vetter Jakob Krehbiel und Vetter Eymann, haben uns eine Mähmaschine miteinander gekauft (und das 1853!!), sie kostet 120 Dollar. Sie wird mit 4 Pferden bespannt, dann braucht man einen der kutschiert, einer sitzt hinten auf der Maschine und recht herunter. So geht es in einem starken Schritt ums Stück herum und immer nimmt die Maschine 6 Fuß breit hinweg. 6 Mann gehen hinten nach und binden’s auf. So haben wir den Tag 10 bis 15 Acker abgemacht, in den ersten 7 Tagen 90 Acker.

Als wir die Frucht ab hatten, ging’s an die Scheuer. Am 7. August fingen die Maurer an zu arbeiten, diese waren in 10 Tagen fertig. Den Handlanger muß man hier selbst machen. Man muß ihnen den Speiß [Mörtel] anmachen und hinbringen und auch die Steine. Unsere 3 kleinen Brüder [Johannes, Peter, Hermann] hatten damit ständig zu tun. Unterdessen haben Heinrich und ich die Frucht nach Hause gefahren.

Als das Mauerwerk fertig war, ging’s ans Holzfahren. Dieses hatten wir über 8 Meilen zu fahren, so weit wohnt John Krehbiel von uns entfernt. Er hatte alles auf seinem Platz gerichtet, fertig zum Aufschlagen. Wir hatten 3 Tage zu fahren; dabei haben uns nicht nur unsere Nachbarn, sondern auch alle unsere Landsleute auf 7 Meilen im Umkreis geholfen. Am 1. Tage hatten wir 18 Fuhren, am 2. Tag 15 und am 3. Noch 7. Am 1. Tag ist unser Heinrich unter den Wagen gekommen und dabei hat ihm das Rad den rechten Arm so zerquetscht, daß er 6 Wochen nicht arbeiten konnte.

Als das Holz da war, ging’s ans Aufschlagen. Dazu brauchten wir 3 Tage Zeit; am 1. Tag hatten wir 20 Mann, am 2. Tag 30 und am 3. Tag wieder 20. Vetter John Krehbiel hat danach noch mit 2 Mann 2 Monate daran gearbeitet, bis alles fertig war.

Jakob Krehbiel III., Maries Weierhöfer Nachbar, lädt die Verwandtschaft ein, ebenfalls auszuwandern, berichtet aber auch von einer Missernte.

Jakob Krehbiel III. aus der Mühle war bereits 1850 mit seiner Familie ausgewandert und Maries Sohn, Heinrich, hatte sich ihm und seiner Familie angeschlossen. Sie verbringen den Winter in der Nähe von Hayesville, Ohio, bei bereits 1845 ausgewanderten Verwandten und Freunden. Um eine Möglichkeit einer endgültigen Ansiedlung aufzutun, lässt Jakob seine Familie zurück und macht sich mit zwei anderen mennonitischen Auswanderern auf nach Iowa. Im Frühjahr 1851 übersiedeln die Familien; Jakob und seine Familie kaufen eine Farm in der Nähe von Donnellson.

Im Mai 1853 schreibt er an seinen Schwager, Adam Schowalter, in Friedelsheim und lädt ein, ebenfalls nach Iowa einzuwandern.

Die Reise ist bleibt immer der beschwerlichste Teil bei der Auswanderung nach Amerika. Doch kann ich mit gutem Gewissen sagen, daß mich meine Auswanderung noch nicht gereut hat und so viel ich von all den Anderen gehört habe, reut es keinen einzigen. Die Ernstweiler Base [Schwester von Marie] sagte: trotz aller Beschwerlichkeit der Reise würde sie dieselbe sofort wieder unternehmen, wenn sie noch einmal draußen wäre.

Ich wollte ihr wäret alle hier, Ihr Lieben, ich glaube nicht, daß es Euch mißfallen würde in unserem Settlement; Platz haben wir noch für Euch Alle. Auch würde Euch unser neuer demokratischer Präsident [Franklin Pierce] nicht hindern, denn hier hat das Wort „Demokrat“ einen anderen Klang als in Deutschland.

1859 schreibt Jakob an Maries Schwager, Heinrich Krehbiel, in Ramsen und berichtet von einer Missernte.

Durch den vielen Regen kam der Rost in die Frucht, so daß sie fast keine Körner ansetzte. Die wenigen, die es gab, haben fast keinen Mehlgehalt. Wir mähten ungefähr 10 Acker Gerste (von 20), 18 Acker Weizen (von 38) und 3 Acker Roggen; alles andere blieb auf dem Felde, weil es nicht die Mühe lohnte (auch 10 Acker Hafer). Hätten wir nicht mehr unseren alten Weizen gehabt, so müßten wir das ganze Jahr unser Brot kaufen. Welschkorn [Mais] gab es auch sehr wenig, weil man nicht darin arbeiten konnte; wir haben schon seit einem Monat keinen Kolben mehr und müssen deswegen unsere Pferde mit der Gerste füttern. Heu gab es sehr viel, ist aber auch kein rechtes Gedeihen darin, unsere Pferde werden sehr mager davon und es ist fast nicht zu genießen.

Katharina Krehbiel, Maries Weierhöfer Nachbarin, nimmt Anteil am Leben der Verwandten in der alten Heimat

Katharina, Ehefrau von Jakob Krehbiel III., beklagt den Tod von Verwandten und erkundigt sich nach ihrem Wohlergehen.

Die Todesnachricht von unserem lieben Vetter Kägy kam uns sehr unerwartet und betrübt uns tief. Besonders noch deshalb, weil wir unser Versprechen ihm zu schreiben noch nicht erfüllt haben. Das geschah aber nicht aus Kaltsinn gegen Ihn. Wir dachten vielmehr, er würde ja das Hauptsächlichste von Unseren auf dem Weierhof erfahren. Und dann wollten wir noch das Eine und das Andere abwarten und ihm danach schreiben. Da erhielten wir von Euch die Todesnachricht.

Hannese [Althannese] Lisbethchen sagte mir, die Kägis-Base habe ihr aufgetragen, mich einmal zu fragen, ob ich das „schöne Wiesental“ gefunden habe? Sollte jemand von Euch zu der Base kommen, so könnt ihr sie nebst Familie von mir grüßen und ihre Frage mit „Ja“ beantworten und noch hinzusetzten, ich befände mich sehr zufrieden hier und wünschte von Herzen da zu bleiben, bis ich die „Täler Kanaans“ schauen darf. […]

Was macht denn der liebe dicke Daniel? Sind die neuen Schuhe noch nicht fertig, daß er die Reise hierher antreten kann? Er soll sich aber ein großes Schüsselchen voll dürrem Obst mitnehmen und uns auch noch ein wenig davon bringen. Wenn Ihr wieder schreibt, dann erzählt uns doch etwas von den Kindern, besonders auch von Ramsen. Und Ihr, liebe Leidenden, laßt uns öfters Euer Befinden wissen. […]

Du aber, meine liebe Schwägerin Daniel, wie geht es Dir mit den lieben Deinen? Du und ich waren also in ein und demselben Winter der Pforte des Todes so nahe. Ach, ich verlangte so sehnlich hinüber! Ich glaubte mich schon aller Bande entbunden. Als aber die Stunde kam, die man als meine letzte ansah, und die Unsrigen den letzten Augenblick erwartend, alle um mein Bett standen, öffnete ich einmal die Augen und erblickte meinen Mann unten auf dem Bett sitzend, Theodor in den Armen, beide naß geweint. Das griff mich so an, daß ich deutlich fühlte, es seien noch nicht alle Bande gebrochen. Von da an brach sich die Krankheit und ich kann heute wieder, obgleich etwas nervenschwach, den ganzen Tag arbeiten. So stehen wir noch in der Gnadenzeit. Möchten wir sie recht zu unserem ewigen Heil nutzen.

Auf Briefe ihres Stiefbruders Adam Schowalter aus Friedelsheim antwortet Katharina 1859.

Wir erhielten Deine beiden Briefe, die uns die Krankheit und den Tod Deiner lieben Frau meldeten, recht bald. Sie hatten den weiten Raum zwischen uns und Euch schnell durchflogen. Schon vorher hatten wir von Leysis erfahren, daß Deine liebe Frau krank und im Bad gewesen sein und man Zweifel hebe an ihrer Genesung. Wir waren daher sehr gespannt auf einen Brief und ich danke Dir recht herzlich für die ausführliche Mitteilung über die Krankheit und ich sagte, jetzt schreibe ich gleich wieder, sonst trifft vielleicht mein Brief die liebe Schwägerin nicht mehr an. Ach, und damals war sie schon zu ihrer Ruhe eingegangen. Wie hinfällig ist doch das Menschenleben!

Ja, ich hätte noch Manches zu fragen! Namentlich vermisse ich etwas für mich Wesentliches, wenn mir bei Todesnachrichten so naher Anverwandter der Leichentext nicht gemeldet wird. Weiß ich den, dann kann ich so hin und her denken, was ungefähr der Prediger darüber gesprochen haben wird, wie sich die Trauernden daran erquickt und getröstet haben werden usw. Lieber Adam, ich kann Dir sagen: Der Leichentext ist mir immer Balsam auf die Wunde, die mir eine Todesnachricht schlägt und es ist uns Allen recht lieb, wenn Du ihn uns in Deinem nächsten Brief mitteilst. […]

Man sagte mir, die liebe Kohlhöfer Base sei bei Dir als Aufseherin in der Haushaltung. Ist dem wirklich so? Ich meine, dann müßtet Ihr wohl versorgt sein. Ist die liebe Base immer noch so rüstig und tätig? Sie muß doch schon ziemlich in Jahren sein. Höre, lieber Adam! Richte mir einen recht herzlichen Liebesgruß an sie aus und sage Ihr, daß die vergnügten Tage, die ich ehemals auf dem Kohlhof verlebt, noch sehr oft in frischen Farben in der Erinnerung in mir auftauchen, aber es steht gleich dabei: Tage der Jugend, wo seid ihr nun hin? […]

Er [Katharinas Enkelsohn August] war noch nicht ganz 11 Monate alt, als er schon im ganzen Haus herumlief. Er springt auf alles hinein, daß man ihn garnicht genug hüten kann und ist schon öfters gefährlich gefallen. Einmal sogar aus dem zweiten Stock des Hauses, wo es ein wahres Wunder war, daß er das Leben nicht einbüßte. Oberhalb der linken Schläfe war, ungefähr zwei Finger breit, Haut und Haare abgestreift, die Zunge durchbissen, das Blut lief ihm aus dem Mund, er war aber nicht einmal bewußtlos. Als wir ihn weinen hörten, liefen wir hinzu. Da versuchte er gerade aufzustehen, was ihm jedoch nicht recht gelingen sollte. Nachdem wir eine Weile kalte Aufschläge auf die Wunde gemacht hatten, schlief er ein. Er schlief nun viel bis zum nächsten Morgen – und sprang wieder im Hause herum wie gewöhnlich. […]

Wir haben jetzt auch mehrere Weinreben im Garten, die schnell wachsen. Einige sitzen schon etliche Jahre und scheinen dieses Jahr etwas Frucht zu bringen, sie haben schon „Schein“. Überhaupt bin ich im Garten jetzt wieder in meinem Element. Es wächst und grünt alles sehr lieblich. Mein erster Gang des Morgens nach dem Aufstehen geht gewöhnlich in den Garten. Aber die herrlichen Frühlingsblumen, wie Schlüsselblumen, Aurikel, Tulpen, Hyazinthen usw., von denen ich draußen [die alte Heimat] eine so hübsche Auswahl hatte, misse ich sehr schwer. Ich möchte die liebe Kohlhöfer Base bitten, mir doch ein klein wenig Samen von ihrem prächtigen, vielfarbigen „Jelängerjelieber“ zu schicken. Ich meine, Du könntest ihn in ein klein Stückchen Papier gepackt, in den Brief legen. Ich habe auf diese Art schon mehr Samen von draußen erhalten. Wie freudig werde ich ihn pflanzen, wenn mich der Herr noch solange hernieden erhält und in der Blumen Anblick mit neuer Liebe Euer Aller gedenken.