
Marie Krehbiel
Wir lernen Marie Krehbiel kennen. Eine starke Frau, die aus Schicksalsschlägen heraus, den Weierhof verlässt und sich mit ihren sechs Kindern aufmacht, ein neues Leben in Amerika zu finden.
Wartenberger Mühle und Weierhof
Marie Krehbiel wächst in der Wartenberger Mühle bei Winnweiler auf. Als Marie 1800 geboren wird, betreibt ihre Familie die Mühle schon seit über 70 Jahren. Vielleicht spielt sie manchmal mit ihren Geschwistern am Mühlbach und sicher muss sie ihren Eltern in Mühle und Landwirtschaft helfen.
1821 kommt sie als junge Braut auf den Weierhof und heiratet Johannes Krehbiel (1795-1847), Bauer Ins Neuhannese. Nun ist sie Marie Krehbiel geb. Krehbiel, die Neuhannese-Marie. Vier Trauzeugen sind bekannt, drei davon sind Krehbiels. Marie und Johannes werden Eltern von neun Kindern, da muss bei Ins Neuhannese viel los gewesen sein. Als Gemeindemitglieder besuchen Marie und Johannes die Gottesdienste in der alten Weierhöfer Kirche, Die Lehr genannt.
Ab 1845 haben die Pfälzer mit Missernten und Krankheiten zu kämpfen. Es ist eine Zeit ohne antibakterielle Medikamente und viele Menschen, unterernährt und überlastet durch den täglichen Kampf um Nahrung, erliegen Infektionskrankheiten. Für den Weierhof ist der Tiefpunkt 1847 erreicht. In diesem Jahr sterben 13 Gemeindemitglieder und Kinder an Typhus, darunter aus Maries Familie ihr Ehemann Johannes (54 Jahre), ihre Tochter Anna (18 Jahre) und ihr Sohn Christian (11 Jahre) und ihr Schwager Christian (51 Jahre, er lebte ebenfalls Ins Neuhannese). Wie verzweifelt ist sie wohl, diese Lieben zu verlieren und nicht zu wissen, wie sie als alleinstehende Frau sich selbst und ihre sechs überlebenden, teilweise schon erwachsenen Kinder durchbringen soll?
Im Jahr 1847 sind Maries Kinder zwischen 6 und 24 Jahre alt. Die älteren Kinder stehen kurz davor, eigene Familien zu gründen. Der Hof Ins Neuhannese muss bald nicht nur eine, sondern sechs Familien ernähren.
Seit der napoleonischen Zeit setzt sich in der Pfalz die Realteilung durch. Dies markiert einen deutlichen Gegensatz zur früheren Praxis, bei der der älteste Sohn den gesamten Hof als Erbe übernahm. Nun hingegen wird der Besitz gleichmäßig unter allen Kindern aufgeteilt. Jedes Kind, unabhängig von Geschlecht, erhält den gleichen Anteil an Grund und Boden, Gebäuden und Geräten. Im Laufe der Generationen werden die einzelnen Höfe immer kleiner und ernähren kaum noch ihre Bewohner. Es kommt sogar vor, dass mehrere Familien ein Haus teilen müssen und nur ein Raum als Unterkunft für eine ganze Familie dient. Ausschließlich durch Landwirtschaft die Familie zu ernähren, wird immer schwieriger. Viele versuchen als Nebenerwerbslandwirte ihren Eigenbedarf zu decken und gleichzeitig ein Handwerk auszuüben. Mit der parallelen Einsetzung der Industrialisierung werden viele traditionelle Handwerke jedoch überflüssig, was zu einer Verarmung der ländlichen Bevölkerung führt.
Adolf Hertzler schreibt in seinem Höfebuch: „Die Höfe wurden geteilt, es wurden 6 neue Höfe dazu gebaut und auf der gleichen Fläche, auf der bisher 6 Familien lebten, sollten jetzt 12 Familien ihr Auskommen finden. Es kam zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Auswanderungswelle nach Amerika setzte ein und es gab viel Wechsel in den Besitzverhältnissen.“ Dies beschreibt die Situation auf dem Weierhof um 1850. Der jungen Generation steht die nächste Realteilung bevor, die Lage kann sich wirtschaftlich nur weiter verschlechtern. Für nicht wenige Weierhöfer ist dies ein entscheidender Beweggrund sich nach Amerika aufzumachen, um dort ihr Glück zu finden.
Auswandern?
Vielen Pfälzern erscheint die wirtschaftliche Lage so aussichtslos, dass sie den Werbern nur zu gerne glauben, die überall Amerika als das Land anpreisen, in dem „Milch und Honig fließen“. Sie wollen einfach nur noch weg! Doch die Auswanderung ist inzwischen kompliziert geworden. Auswanderer müssen nun einen Reisepass haben. Den gibt es nur, wenn man nachweislich schuldenfrei ist und genug Geld für die Genehmigungs- und Reisekosten hat. Bei Einsprüchen der politischen Gemeinde, erhält man keinen Reisepass und kann nicht los. Viele Auswanderer geben als Reisegrund nicht Auswanderung an, sondern den Besuch bei Verwandten in der Stadt ihres Auswanderungshafens, damit verwirken sie nicht ihr Recht auf Rückkehr.
1852 entscheidet Marie: „Ich mache mich auf nach Amerika“. Sie hat ein Ziel vor Augen: Franklin Township in Iowa. Warum gerade dorthin? Briefe ihres Sohnes Heinrich und von Jakob III. Krehbiel, einem Cousin ihres Ehemannes, erzählen vom Leben in Iowa. Jakob ist mit seiner Familie bereits 1850 ausgewandert und hat Heinrich mitgenommen. Zuerst in Ohio angekommen, macht er sich mit zwei anderen neu eingewanderten Pfälzer Mennoniten auf, neues Land für eine Siedlung zu finden. Lee County, Iowa, erscheint ihnen vielversprechend, vielleicht auch deshalb, weil sich dort schon Mennoniten aus Süddeutschland angesiedelt haben. Und so holen sie ihre Familien von Ohio nach Iowa nach. Nachrichten aus Amerika sind auch ein Hoffnungsschimmer für Marie auf dem Weierhof, eine neue Heimat bei Verwandten und Freunden zu finden.
Jakobs Briefe an die Verwandtschaft sind reich an praktischen Hinweisen und Warnungen. Neben Warnungen vor unlauteren Auswandereragenturen und amerikanischen Banken gibt er Empfehlungen für die Reiseausstattung: Rotwein dürfe keinesfalls fehlen, ebenso wenig wie bestimmte Werkzeuge, die sich als unverzichtbar erweisen könnten. Gleichzeitig übermittelt er Wunschlisten der bereits Eingewanderten an die Daheimgebliebenen und spricht eine herzliche Einladung aus, ihm nach Iowa zu folgen.
Die Reise ist und bleibt immer der beschwerlichste Teil bei der Auswanderung und Amerika liegt auch noch in dieser unvollkommenen Welt, doch kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass mich meine Auswanderung noch nicht gereut hat und so viel ich von all den Anderen gehört habe, reut es keinen einzigen. Die Ernstweiler Base sagte: trotz aller Beschwerlichkeit würde sie die dieselbe noch einmal auf sich nehmen, wenn sie noch einmal draußen wäre. Ich wollte ihr wäret alle hier, ihr Lieben, ich glaube nicht, dass es euch missfallen würde in unserem Settlement; Platz haben wir noch für Euch alle. Auch würde euch unser demokratischer Präsident nicht hindern, denn hier hat das Wort „Demokrat“ einen anderen Klang als in Deutschland.
Andere fassen ebenfalls den Entschluss auszuwandern. Die Familie von Maries jüngerer Schwester Katharina Schnebele aus Ernstweiler und die Weierhöfer Familie von Johannes Löwenberg aus dem Weberhäuschen sind dabei.
Woher nur das Geld für alles nehmen? Marie verkauft ihren Bauernhof an David Galle aus Uffhofen, der Ins Neuhannese die Landwirtschaft weiterführt. Sie kann nun die Überfahrt für ihre Familie bezahlen und hoffentlich einen Neuanfang in Iowa finanzieren.
Die Auswanderung nach Amerika hat für die Mennonitengemeinde Weierhof zur Folge, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts 73 Mitglieder und deren Kinder die Gemeinde verlassen (➚ Auswandererliste).
Reise nach Amerika
Jakob Leisy (1802-1880), ursprünglich aus Friedelsheim, und sieben Jahre vorher nach Amerika ausgewandert, kommt 1852 zurück, um mennonitische Familien aus ganz Süddeutschland anzuwerben. Er trifft die Reisevorbereitungen und leitet im Sommer 1852 eine Auswanderergruppe aus mehreren mennonitischen Familien. Marie schließt sich seiner Gruppe an.
Aus zusammengetragenen Erinnerungen einiger junger Mitglieder der Auswanderergruppe können wir erfahren, wie es Marie wohl ergangen ist.
Vom Weierhof nach New York
Die Reise beginnt in Augsburg, aber Marie und ihre Kinder schließen sich wahrscheinlich der Gruppe erst in Mannheim an. Sie besteigen dort ein Rheinschiff nach Köln und setzen dann ihre Reise mit dem Zug nach Paris fort.
Wahrscheinlich was dies für einige das erste Mal, dass sie eine Eisenbahn sehen, geschweige denn mit einer mitfahren. In Paris steigen sie um und erreichen unbeschadet ihren Zielort Le Havre an der französischen Atlantikküste. Zu dieser Zeit sind Tausende von Auswanderern in der Stadt, die darauf warten, ein Schiff nach Amerika besteigen zu können. Im gleichen Jahr verlassen 22.411 Menschen aus dem Königreich Bayern (die Pfalz gehörte damals zu Bayern) über den Auswanderungshafen Le Havre ihre Heimat. Ein französischer Journalist beschreibt die Stimmung am Hafen.

Maries Gruppe besteigt das englische Segelschiff Samuel M. Fox. Bei der Abreise befinden sich ca. 500-700 Menschen an Bord, für die Größe des Schiffes eine hohe Anzahl. Marie hat Zwischendeck gebucht, die billigste Möglichkeit, aber auch die elendeste und menschenunwürdigste, denn auf dem Zwischendeck herrscht eine qualvolle Enge.
Man hat sich mit Lebensmitteln eingedeckt und bereitet Mahlzeiten in den Schiffskombüsen selbst zu. Wetterbedingt kommen sie zunächst nur sehr langsam voran. Eine Meuterei bricht aus und das Schiff droht in Brand gesetzt zu werden. Zum Glück kann die Meuterei niedergeschlagen und die Fahrt fortgesetzt werden. Dann wird es stürmisch und viele Passagiere werden seekrank. Während der Reise sind unter den Passagieren Tote zu beklagen und Babys werden unter widrigen Umständen geboren.
Von New York nach Iowa
Nach 52 Tagen, am 4. August 1852, läuft die Samuel M. Fox im Hafen von New York ein. Sicher sind die Auswanderer erschöpft von der langen, strapaziösen Fahrt. Es gibt noch keine zentrale Einwanderungsbehörde in New York, so dass wahrscheinlich nur eine medizinische Untersuchung der Passagiere durchgeführt wird.
Bereits einige Tage später geht es erneut auf das Wasser. Die Gruppe fährt nun mit einem Dampfschiff auf dem Hudson-Fluss nordwärts nach Albany und dann weiter mit dem Zug nach Buffalo. Sie fahren also zunächst nach Norden anstatt nach Westen. Das erlaubt es ihnen, Schiffe und die Eisenbahn für den Großteil ihrer Reise nutzen.
Da in Buffalo die Cholera herrscht, beeilt man sich, die Stadt schnell zu verlassen und ein Dampfschiff zu besteigen. Die Fahrt geht über den großen Erie-See nach Toledo, Ohio. Von dort nehmen sie die Eisenbahn nach Chicago, Illinois. Auf dieser Strecke müssen sie teilweise in Güterwaggons reisen und oft steht der Zug stundenlang. Sie kommen erst nach tagelanger Reise in Chicago an. Gleich geht es weiter mit einem pferdegezogenen Kahn auf dem Illinois-Fluss nach Süden. Nur langsam geht es voran, die jungen Männer steigen sogar ins seichte Wasser und schieben mit. In Peoria, Illinois, verlassen sie den Kahn. Nach weiteren drei Tagen auf gemieteten Pferdewagen, erreichen sie am 24. August 1852 endlich ihr Ziel. Sie sind insgesamt fast drei Monate unterwegs gewesen.
Iowa – das neue Einwanderungsziel
Iowa, benannt nach dem indigenen Stamm der Iowa, tritt 1846 als neuer Bundesstaat den Vereinigten Staaten bei. Noch im Jahr 1832 kämpfen indigene Völker im Black-Hawk-Krieg gegen das Vordringen der europäischen Amerikaner westlich des Mississippi – den Fluss, den die USA zu jener Zeit als Westgrenze festgelegt hatte. Jenseits davon sei Indianerland.
Nach ihrer Niederlage werden die indigenen Stämme gezwungen, zunächst 2,5 Millionen Hektar ihres Landes entlang des Westufers des Mississippi zu veräußern. 1833 wird das Land für die Besiedlung durch Amerikaner europäischer Abstammung und europäische Einwanderer freigegeben. Als die mennonitischen Familien aus der Pfalz um 1850 ihre ersten Farmen im Osten Iowas gründen, betreiben die USA weiterhin die ethnische Säuberung des Territoriums der Indigenen im Westen des neuen Bundesstaates.
Zahlt die Bundesregierung im erzwungenen Verkauf von 1833 noch 11 Cent pro Acre, so zahlt Marie 20 Jahre später 12 Dollar pro Acre, ein Preisanstieg von fast 11.000%. Dennoch war das ein gutes Geschäft für sie. Soviel Land hätte sie in der alten Heimat mit dem Verkauf ihres Hofes auf keinen Fall erwerben können.
Iowa ist noch frontier country, die Ankömmlinge verstehen sich als Pioniere, die neues Land erschließen, Zivilisation und Fortschritt bringen. Aber das Leben abseits jeder gewohnten Infrastruktur ist hart. Es gibt kaum Straßen, keine Eisenbahn und keine Brücke über den Mississippi, der Fluss selbst kann wegen der Stromschnellen nur mit kleinen Booten befahren werden. Somit sind zu Beginn weder Land- noch Wasserwege geeignet, ausreichend Güter nach Iowa einzuführen oder landwirtschaftliche Produkte auszuführen.
Ab den 1860er Jahren verbessern sich die Bedingungen, und Donnellson wird 1880 an die Nord-Süd- und die Ost-West-Eisenbahnstrecken angeschlossen. Diese Entwicklung hat einen erheblichen Einfluss auf die Farmen im Umland. Um 1850 sind die Farmen noch durchschnittlich etwa 15 Hektar groß und auf Selbstversorgung ausgerichtet. Bis 1880 sind sie jedoch auf durchschnittlich etwa 30 Hektar angewachsen und produzieren für den Weiterverkauf. Marie kauft noch im Jahr ihrer Ankunft zwei Farmen mit insgesamt 164 Hektar (405 Acres) Land. Aufgeteilt auf ihre sieben Kinder, wie nach der alten pfälzischen Realteilung üblich, verfügt jedes Kind über etwa 23 Hektar und damit für das Jahr 1852 über eine überdurchschnittlich große Farm.
Leben in Iowa
Endlich angekommen! Sicher nimmt Marie ihren Sohn Heinrich in die Arme. Ein fröhliches Wiedersehen, denn die Familie ist nun wieder vereint. Die Kinder begrüßen ihre Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, die seit wenigen Jahren in der Prairie leben.
Bei ihrer Einwanderung ist Marie 52 Jahre alt, ihre Kinder sind fast alle erwachsen und gründen eigene Familien.
Aber hören wir doch in die Briefe rein und stellen uns vor, dass Telefonieren möglich gewesen wäre – dann hätte es vielleicht so geklungen:
Heinrich beschäftigt es, dass die Militärpflicht für ihn und andere junge Männer in der alten Heimat fortbesteht. Um davon befreit zu werden, müssen sie bei den zuständigen Behörden im Königreich Bayern anzeigen, dass sie nun in den USA ansässig sind. Er bittet daher, dass die Verwandten sich kundig machen, welche Formalitäten dafür zu erledigen wären und ihm diese mitzuteilen.
Erste Enkel gehen bereits in die kleine Schule auf Jakobs Farm. Er hatte eine Scheune hergerichtet, in der die Kinder nun unterrichtet werden können. 1856 werden die Schüler zwei Tage auf Englisch und drei Tage auf Deutsch unterrichtet. Im Sommer und Herbst aber gibt es ausschließlich die „deutsche Schule“. Die Schülerzahl wächst und wächst, auch weil deutsche Einwanderungsgemeinden anderer Konfessionen, ihre Kinder in diese Schule schicken.
Es ist die Anfangszeit der mennonitischen Zionsgemeinde (später Zion Mennonite Church) in Franklin Township (heute eingemeindet in Donnellson). 1852 leben dort und im angrenzenden Gebiet von Franklin Township bereits 10 mennonitische Familien aus der Pfalz. Im Vordergrund steht der Aufbau der Farmen und der Gemeinde. Die neuen Nachbarn sind aus der Familie. Maries Schwester Katharina und ihr Mann Jakob Schnebele kaufen eine angrenzende Farm.
Die US-amerikanische Volkszählung von 1860 listet die free inhabitants, also die freien, nicht-versklavten Einwohner von Franklin Township, auf. Iowa war als free state 1846 den Vereinigten Staaten beigetreten und hatte das Verbot der Sklaverei in seiner Verfassung verankert. Allerdings ist die Sklaverei landesweit noch nicht abgeschafft. Wegen dieser Frage sollte bereits ein Jahr später der Amerikanische Bürgerkrieg ausbrechen. Erst nach dem Krieg wird 1865 das Verbot der Sklaverei als 13. Verfassungszusatz der USA ratifiziert.
In der Volkszählungsliste von 1860 finden wir Marie als ein Mitglied des Haushaltes ihres Sohnes Johannes.
Das Leben auf der Prairie unterscheidet sich sehr von der gewohnten Lebensweise auf dem Weierhof. Dort hatte man Haus an Haus gelebt, die Kinder sprangen über die Straße, um Cousins und Cousinen zu besuchen. Man konnte sich einfach aushelfen, etwas vom Nachbarn borgen und abends auf ein Schwätzchen vorbeischauen. In ein paar Minuten war man in die Kirche gerannt und noch pünktlich zum Gottesdienstbeginn da. In Iowa sind die Farmen weit verstreut. Die Familien leben getrennt voneinander. Man muss nun Pferd und Wagen einspannen, um zum Gottesdienst zu fahren oder einen Besuch abzustatten. Das Miteinander ist nicht mehr so selbstverständlich und spontan möglich.



Umso wichtiger erscheint es, eine eigene Kirche zu errichten, die als Begegnungsstätte dienen kann. Jakob III. Krehbiel, ein Cousin von Maries verstorbenem Ehemann, ist 1853 Mitglied im Bauausschuss. Sein Vater Johann Jakob Krehbiel (1778-1846) war der Bauplaner von vier Höfen auf dem Weierhof. Vielleicht hat er sich dort etwas abgeschaut und kann Kenntnisse zum Bau der Kirche beitragen. 1854 macht sich die Gemeinde daran, ihr Bauvorhaben umzusetzen. Ein Mitglied spendet das Land, auf dem die Kirche und Friedhof errichtet werden sollen, andere spenden Baumaterial und ihre Arbeitskraft. Dennoch sind noch weitere Kosten zu decken. Die Gemeinde beschließt, dass jede Familie auf der Basis ihres Landbesitzes eine Abgabe zu zahlen hat und Neuankömmlinge mit Eintritt in die Gemeinde einen Beitrag, gemessen an ihrem Vermögen, zu leisten haben.
Im Keller der Kirche werden Schulräume eingerichtet, denn das alte, kleine Schulhaus platzt bereits aus allen Nähten. Im Erdgeschoss befindet sich der Versammlungsraum für Gottesdienste. Die Innenausstattung gleicht der der Weierhöfer Kirche. Besonders die Kanzel und die Bänke erinnern sehr an den Weierhof.
Der Friedhof wird 1854 eingeweiht. In den ersten zwanzig Jahren werden dort 112 Kinder und 43 Erwachsene begraben. Damit ist die Kindersterblichkeit sehr hoch, denn auch in der neuen Welt ist man vor Epidemien nicht gefeit. Im Sommer 1664 wird die Gemeinde von Pocken heimgesucht und 1870 bricht auch hier Typhus aus. Diphtherie und Tuberkulose sind ebenfalls ständige Begleiter in dieser Zeit. In den Nachrufen auf Maries Kinder wird der frühzeitige Tod ihrer Kinder erwähnt. Fünfzehn von Maries Enkeln überleben ihre Eltern nicht (➚ Nachrufe auf Maries Kinder).
Als Erwachsene haben Maries Kinder eine bessere Überlebenschance. Alle erleben die Jahrhundertwende, manche gründen Familien in Donnellson, andere ziehen weiter nach Kansas. Marie wird 75 Jahre alt und stirbt 1875 im Kreise ihrer Familie, ihrer Verwandtschaft und ihrer Gemeinde, fast so wie es auf dem Weierhof gewesen wäre. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof der Zion Mennonite Church in Donnellson, 7.500 km entfernt vom Grab ihres Ehemannes Johannes hier auf dem Weierhöfer Friedhof.
