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Das Genossenschaftliche Flüchtlingswerk

Die Vorbereitung

Im Frühjahr 1949, kurz nach seiner Übersiedlung auf den Weierhof, widmet sich Johannes mit großem Engagement der Unterstützung der in der Pfalz verstreuten Mitglieder der westpreußischen Mennonitengemeinden. Er bietet geistliche Begleitung durch Gottesdienste und fördert den Austausch über die drängenden Herausforderungen, die es nun zu bewältigen gilt.

Das alte Leben in Westpreußen war besonders in den Landgemeinden durch die Landwirtschaft geprägt. Die Tradition, als selbstständiger Landwirt zu arbeiten, bleibt weiterhin ein erstrebenswertes Ziel – doch wie lässt sich das unter den neuen Bedingungen realisieren?

In Heubuden führte Johannes einen großen Betrieb mit Land- und Viehwirtschaft. Als Leiter einer wichtigen überregionalen Genossenschaft hatte er das organisatorische, finanzielle und behördliche Wissen, funktionierende Strukturen für einen Zweck zu schaffen, Kontakte zu nutzen und Kräfte zu bündeln. In seinem Freund Otto Zerger findet er einen engagierten Mitstreiter. Otto ist selbst Landwirt auf dem Weierhof. Er kennt die lokalen Strukturen und hat Verbindungen zu wichtigen beruflichen und behördlichen Einrichtungen in der Pfalz. Darüber hinaus ist es ihm ein großes Anliegen, den westpreußischen Geschwistern im Glauben zu helfen, wieder ein selbstständiges Auskommen in der Landwirtschaft zu finden.

Die Gründung

Am 14. Juni 1949, drei Wochen nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, gründen Johannes und Otto in dessen Wohnzimmer im Hof An der Brücke das Genossenschaftliche Flüchtlingswerk e.G.m.b.H.

Johannes schreibt dazu:

Es wurde beschlossen, die Gründungsversammlung der geplanten Siedlergenossenschaft auf den 14. Juni 1949 zu legen. Sie fand in der Wohnung von Bruder Otto Zerger, Weierhof, statt. An dieser Gründungsversammlung beteiligten sich der Verbandsdirektor Becker in Ludwigshafen und Herr Wendel, jetzt Direktor des Prüfungsverbandes, und 22 werdende Mitglieder. Sie sind im Verzeichnis der Genossen als die ersten 22 Namen aufgezählt.

Gruendungsprotokoll
Protokoll der Gründungsversammlung des Flüchtlingswerk am 14. Juni 1949

Ziel der Genossenschaft ist es, Mitglieder bei der Suche nach Land und Bauernhöfen, bei Kreditanträgen, bei der Hofgründung und bei behördlichen Anforderungen der sich gerade konstituierenden öffentlichen Verwaltung zu unterstützen. Johannes beginnt umgehend damit, Mitglieder sowohl unter den Flüchtlingen als auch den Einheimischen zu gewinnen. Eine ausgewogene Mischung dieser beiden Gruppen ist notwendig, da die Einheimischen wegen ihres Hof- und Landbesitzes Bürgschaften geben können. Jedes Mitglied zahlt ein Eintrittsgeld von 1 DM, 50 DM für einen Geschäftsanteil und haftet mit 500 DM. Da D-Mark noch knapp sind, die Währungsreform liegt erst ein Jahr zurück, kann man glücklicherweise den Geschäftsanteil in Raten zahlen.

Die erste Mitgliederversammlung findet am 24. Juni 1949 wieder in Ottos Wohnzimmer statt. Obwohl Flüchtlinge und Einheimische hier zu einem gemeinsamen Ziel zusammenkommen, sieht Johannes, dass es auch zu Spannungen kommen kann, und schreibt im Sitzungsprotokoll:

Es erfolgt dann eine rege Aussprache über das Problem und die Möglichkeit des Zusammenlebens und Ineinanderlebens zwischen Einheimischen und Flüchtlingen bzw. Heimatvertriebenen. Dies wird gelingen, wenn wir gewillt sind, die Eigenarten des anderen anzuerkennen und als etwas in Jahrhunderten Gewordenes anzunehmen u. anzuerkennen. „Gib ihm eine ‚Schanze‘ [meint Chance], diesen Standpunkt der amerikanischen Brüder müßten wir anstreben.

Otto wird zum ersten und Johannes zum zweiten Vorsitzenden des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks gewählt.

Als eingetragener Verein können sie nun einem Kreditgeber mit höheren Haftungssummen entgegentreten und wenden sich an die Raiffeisen-Zentralkasse Ludwigshafen. Weitere Vorteile sind Johannes‘ langjährige Erfahrung in der Führung einer großen Raiffeisengenossenschaft; auf dem Weierhof gibt es bereits eine der Ludwigshafener Zentralkasse unterstehende eigene Raiffeisenkasse; Otto verfügt über ausgezeichnete Beziehungen zur Landwirtschaftskammer Pfalz. Das neu gegründete Flüchtlingswerk qualifiziert die Kreditanträge vor und beantragt Fördergelder bei den Verwaltungen. Für die Zentralkasse ergibt sich ebenfalls ein Vorteil, in dem sie vom Klein-Klein der Kreditbewertung entlastet wird und im Flüchtlingswerk einen kompetenten Ansprechpartner hat. Die notwendige Aufnahme als Raiffeisengesellschaft erfolgt schnell, somit legt es seine Berichte vor und schafft damit die nötige Transparenz.

Gruendungsprotokoll 2
Protokoll der Gründungsversammlung des Flüchtlingswerk am 14. Juni 1949

Wie intensiv Johannes und Otto Networking betreiben, geht aus ihrem Jahresbericht 1950 hervor:

Weiter mussten wir darauf Bedacht nehmen, mit den zuständigen Siedlungsbehörden in Kontakt zu kommen. Es ist uns gelungen mit der Landwirtschaftkammer, mit der Landsiedlung Rheinland-Pfalz, mit den Landwirtschafts- und Soforthilfeämtern, bei einigen Kreisbehörden, mit der pfälzischen Siedlungsbehörde in Neustadt a.d.H. [an der Haardt, heutige Bezeichnung: an der Weinstraße] und mit den leitenden Spezialreferenten bei den Landwirtschaftsministerien in Koblenz und Frankfurt a.M. eine durchaus fruchtbare Verbindung aufzunehmen.

Amtsgerichteintrag
Eintrag des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks beim Amtsgericht 1949

Die Genossen werden Kunden der Raiffeisenkasse Weierhof und werben in ihrem Umfeld, ebenfalls ein Bankkonto dort zu eröffnen. Somit übersteigt die Anzahl der Bankkunden bald die Anzahl der erwachsenen Einwohner des Weierhofs. Johannes treibt auch diese Entwicklung voran, er ist in Personalunion Vorsitzender des Flüchtlingswerks und der Raiffeisenkasse Weierhof.

Schwierigkeiten sind zu meistern

Johannes besucht regelmäßig die neuen Siedlerhöfe und schaut nach dem Rechten. Sind die Höfe erfolgreich genug, um ihre Kredite zu bedienen? Kann er durch seine Erfahrungen und Beziehungen unterstützen? Johannes lädt auch schon mal zu Besichtigungsfahrten der Siedlerbetriebe ein. Diese engmaschige Begleitung dient auch dem Wohle der Genossenschaft. Wenn die Betriebe ausreichend gut laufen, sieht es auch besser für neue Antragsteller aus.

Besichtigungfahrt 1955
Einladung zur Besichtigungsfahrt von Siedlerbetrieben
Besichtigungsfahrt des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks nach Karlstal bei Johanniskreuz (ca. 1963)
Besichtigungsfahrt des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks nach Karlstal bei Johanniskreuz (ca. 1963)

Es kommt aber auch zu Betriebsaufgaben neuer Höfe. Wie können diese begleitet und der finanzielle Schaden gemindert werden?

Eine große Herausforderung stellen die genossenschaftlichen Bilanzen der ersten Jahre dar, denn sie sind negativ. Man hofft verzweifelt, eine staatliche Förderung für die Vermittlungsleistungen zu erhalten. In Rheinland-Pfalz wird 1950 hierzu eine gesetzliche Grundlage geschaffen, auf Bundesebene erst 1953. So bleiben die Zahlen erst mal rot, aber die Freude ist groß, als der Zuschlag endlich kommt und die Bilanz verbessert.
Unermüdlich wirbt der Vorstand um Mitglieder.

Dann traten die Mitglieder Nr. 104 bis 109 bis zum 1.2.1950 der Genossenschaft bei. Damit hatten wir eine lebens- und kreditfähige Genossenschaft zustande gebracht – 67 hessisch/pfälzische und 42 heimatvertriebene Brüder und Schwestern. Unsere Bilanz vom 31. Dezember 1949 weist ein Geschäftsguthaben der Mitglieder DM 3230,- aus und eine Rücklage von DM 132,- (Eintrittsgelder). Wir haben recht viele Reisen unternommen.

Vorstand und Aufsichtsrat des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks, v.l.n.r. Johannes Driedger, Willi Friesen, Hans Hübert, Otto Heidebrecht, Christian Gallé, Bernhard Klaaßen, Adolf Bergthold (ca. 1963)
Vorstand und Aufsichtsrat des Genossenschaftlichen Flüchtlingswerks, v.l.n.r. Johannes Driedger, Willi Friesen, Hans Hübert, Otto Heidebrecht, Christian Gallé, Bernhard Klaaßen, Adolf Bergthold (ca. 1963)

Dieses Geschäftsguthaben und die Vergabe von Kleinkrediten, z.B. Überbrückungskredite und Darlehen zur Anschaffung von Gerätschaften der Genossen, verursachen bei der Raiffeisen-Zentralkasse Ludwigshafen ein Störgefühl. War doch das Flüchtlingswerk nicht als eine Raiffeisenkasse, sondern als eine Waren- und Betriebsgenossenschaft aufgenommen worden. Der Raiffeisenverband fordert im Frühjahr 1954 das Flüchtlingswerk auf, wegen seiner Aktivitäten eine Banklizenz zu beantragen, da man ansonsten befürchte, dass die Bankaufsicht tätig werde. Da dies das Flüchtlingswerk ablehnt, ergeht folgende Warnung:

Wir machen Sie nochmals darauf aufmerksam, dass die Betätigung von Geld- und Kreditgeschäften nur mit Genehmigung der Bankaufsichtsbehörde zulässig ist. Bisher haben wir Ihre Genossenschaft als Waren- und Betriebsgenossenschaft geführt. Auf Grund Ihrer Erklärungen werden wir auch künftig keine Änderung eintreten lassen. Wir müssen Sie dann aber auch bitten, wie von Herrn Driedger gesagt worden ist, Ihre Tätigkeit auf das Gebiet der Betreuung und Beratung der Mitglieder zu beschränken und eventl. wegen einer Darlehensgewährung nur vermittelnd tätig zu sein.

Es flattern noch einige solcher Warnungen herein – man will das anscheinend aussitzen -, bis der Raiffeisenverband im Juli 1956 den Antrag zur Aufnahme des Geld- und Kreditgeschäfts für das Flüchtlingswerk beim zuständigen Ministerium stellt. Natürlich ist dies damit verbunden, einer strengen Aufsicht zu unterliegen und Auflagen sowie Dokumentationspflichten zu erfüllen, so dass das Flüchtlingswerk nur wenige Jahre später, als die Bedürfnisse der Mitglieder geringer werden, die Banklizenz wieder zurückgibt.

Eines der ersten Projekte des Flüchtlingswerkes ist der Kauf des Werderhofes bei Zweibrücken. Drei westpreußische Bauern übernehmen den Hof dank der Unterstützung des Flüchtlingswerkes und eines Kredits der Raiffeisen-Zentralkasse.

Weitere Projekte, besonders von Einzelhöfen, folgen. Bei einem Hof können nur die Gebäude erworben werden, aber kein Land. Da ermöglicht ein mennonitischer Nachbarhof die Pachtung von Land, so dass der neue Betrieb lebensfähig sein kann. Andere Siedlerhöfe werden durch die Abgabe von Saatgut von Einheimischen unterstützt. Das Flüchtlingswerk entwickelt kreative Lösungen, die den Kreditgeber überzeugen, Darlehen auch in Fällen zu gewähren, die zunächst vielleicht kritisch gesehen werden.

Otto Zerger Und Ehefrau Anna (ca. 1955)
Otto Zerger und Ehefrau Anna (ca. 1955)

Hilfen des Staates

Am 18. August 1949 tritt das Soforthilfegesetz zur finanziellen Unterstützung von Menschen, die durch Kriegsereignisse in besondere Not geraten sind, in Kraft. Erst ab 1. September 1952 können Heimatvertriebene Anträge zum Lastenausgleich stellen.

Um Zahlungen unter dem Lastenausgleichsgesetz zu erhalten, müssen heimatvertriebene Landwirte bestimmte Bedingungen erfüllen. Sie müssen nachweisen, dass sie durch den Krieg erhebliche Vermögensverluste erlitten haben. Dazu gehören der Verlust von Land und Hof, Hausrat und anderen Vermögenswerten. Zudem müssen sie für die landwirtschaftliche Tätigkeit geeignet sein und einen Nachweis führen, dass diese früher ihre Lebensgrundlage bildete.
Im Archiv des Flüchtlingswerks befindet sich eine Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Pfalz zum Soforthilfegesetz:

Da in letzter Zeit häufig Anfragen aus Kreisen der Siedlerbewerber eingehen, geben wir nachstehend die Möglichkeit und den Weg wieder, wie ein Flüchtling in den Wirtschaftprozess der Landwirtschaft eingegliedert werden kann […] Um dem Flüchtling die Pachtung zu erleichtern, sind in §68 des Soforthilfegesetzes (SHG) Bestimmungen erlassen, die dem Verpächter erhebliche Vergünstigungen geben, wenn er an einen Flüchtling verpachtet. […] Da es in der Pfalz viele kleine und mittlere Betriebe gibt, in welchen die Nachkommen gefallen oder vermisst sind, werden solche Pachten in der kommenden Zeit wohl immer im steigenden Ausmaße möglich sein.

Hier wird die traumatische Situation beider Parteien deutlich. Die der Einheimischen, denen Hof und Land geblieben ist, aber die Zukunft genommen wurde, und die der Flüchtlinge, denen Hof und Land genommen wurde und die nach einer Zukunft suchen.
Da es oft schwer ist, für die Staatshilfe und die Kreditanträge die notwendige Dokumentation zusammenzutragen – denn wer nimmt schon Akten auf die Flucht mit –, müssen oft eidesstattliche Zeugenaussagen zusammengetragen werden, einen Zugriff auf Grundbücher, Ausbildungseinrichtungen, Versicherungen gibt es nicht mehr.

Auflösung

Das Genossenschaftliche Flüchtlingswerk besteht bis 1980. Sein letzter Geschäftsführer ist ein Neffe von Johannes. Ortwin Driedger begleitet in den restlichen Jahren die auslaufenden Geschäfte. Die Hilfe des Flüchtlingswerks wird nicht mehr benötigt, die Hofgründungen der Flüchtlinge fanden vor allem in den 1950er-Jahren statt. Schon in den 1960er-Jahren verlagert sich die Arbeit des Flüchtlingswerks hin zur kulturellen Pflege und zur Dokumentation der Erfahrungen und Erlebnisse. Die wirtschaftlichen Aufgaben treten in den Hintergrund. 1980 sind die letzten Kredite vollständig abbezahlt und die Genossenschaft löst sich auf.