Kirchbuch Heubuden

Die Mennonitengemeinde Heubuden-Marienburg

Die Gemeinde – Mittelpunkt des Lebens

Heubuden (heute Stogi, Polen) ist eine der frühen Mennonitengemeinden im Großen Werder. Die Gemeindemitglieder kommen aus den Höfen des oberen Werders, aus Marienburg (heute Malbork, Polen), der Stadt mit der alten Burg, dem ehemaligen Sitz des Deutschritterordens, auf der anderen Seite der Nogat, und aus dem Raum Dirschau (heute Tczew, Polen) auf der anderen Seite der Weichsel. Man trifft sich in Heubuden zum Gottesdienst und anderen Gemeindeveranstaltungen, fährt mit Pferd und Wagen oder später auch mit dem Auto vor.

Innenraum der Heubudener Kirche, links Predigerstuhl und Kanzel
Innenraum der Heubudener Kirche, links Predigerstuhl und Kanzel
Heubuden 1930 A
Parkplatz vor der Heubudener Kirche (ca. 1920)

Vor der Heubudener Kirche gibt es einen großen Parkplatz mit ausreichend Platz für die Fahrzeuge und Pferdegespanne. Viele kommen etwas früher zum Gottesdienst, um noch auf dem Friedhof die Gräber ihrer Familienangehörigen besuchen zu können. Johannes erinnert sich:

Neben der Heubudener Kirche befand sich ein alter Begräbnisplatz. Nach und nach fand sich immer mehr Interesse der anderen Gemeindeglieder an unserem Friedhof […]. Der Friedhof wurde geradezu ein Sammelpunkt der Gemeinde. Dort verschwanden die Standesunterschiede und die verschiedenen Glaubensströmungen – bleibende Werte wurden lebendig …

Heubudener Friedhof

Kreuz 3
Beschriftung

1952 errichtet die Mennonitengemeinde Weierhof auf ihrem Friedhof ein großes Holzkreuz gewidmet dem Gedenken an die Toten in der fernen Heimat. Das Kreuz steht stellvertretend für die mennonitischen Friedhöfe in West- und Ostpreußen und soll den Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, eine Stelle sein, an der sie ihrer Trauer um tote Familienmitglieder Raum geben können. Johannes spricht zur Einweihung des Kreuzes.

Auszüge aus den Gedenkreden ➚

Ein besonderer Anlaufpunkt für die Männer der Gemeinde ist das Mantelhaus. Eingerichtet, um die dicken Mäntel außerhalb des Gottesdienstraumes aufzubewahren, sieht man sie dort oft eine halbe Stunde zum Tratsch verschwinden. Sie tauschen aus, was es Neues auf den Höfen gibt, diskutieren landwirtschaftliche Neuheiten, beraten sich zu Problemen in den Genossenschaften und mit den behördlichen Stellen. Das Mantelhaus ist die wichtigste Nachrichtenbörse im oberen Werder. Für Frauen gibt es ein separates Mantelhaus an der Südseite der Kirche, auch dort werden vor und nach dem Kirchgang Neuigkeiten ausgetauscht.

Die Heubudener Kirche, außen, im Vordergrund das Mantelhaus (ca. 1920)
Die Heubudener Kirche, außen, im Vordergrund das Mantelhaus (ca. 1920)

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts weichen immer mehr Mennonitengemeinden in Deutschland vom Prinzip des Laienpriestertums ab. Sie stellen theologisch ausgebildete Männer, oft Absolventen eines Theologiestudiums, als Pfarrer ein. Nicht jedoch die Landgemeinden in Westpreußen, sie halten bis zu ihrer Auflösung am Laienpriestertum fest und wählen ihre Amtsträger aus dem Kreis der Gemeindemitglieder. Mit der Zeit bilden sich die Ämter Ältester, Prediger und Diakone heraus, deren Vertreter auf Lebenszeit von der Gemeinde gewählt werden. Der Älteste ist der Vorsitzende der Gemeinde mit alleinigem Recht, Taufe und Abendmahl zu vollziehen. Prediger sind befugt, Gottesdienste zu leiten sowie Hochzeiten und Beerdigungen durchzuführen. Diakone sind beauftragt, sich um die Armen in der Gemeinde und den sozialen Zusammenhalt zu kümmern.

Johannes hält am Laienpriestertum fest und argumentiert 1938 in den Mennonitischen Blättern gegen die Theologen:

Uns aber sollen sie [die Theologen] ihre Schlußfolgerungen aus dem theologischen Studium nicht vor das Evangelium, nicht vor unsern Heiland stellen, sondern sie mögen es als ihre Aufgabe ansehen, uns den Weg zur Erscheinung Jesu Christi frei zu machen, den kirchliche Willkür vielfach verstellt hat. Unsere Vorfahren machten dieses theologische Streben nicht mit. Sie wählten zur Verkündigung des Evangeliums Männer aus ihren eigenen Reihen, aus der Wirklichkeit heraus, in die sie im Leben gestellt waren. Mit der natürlichen Sehnsucht nach Wahrheit, die ihnen verliehen war, suchten sie im Evangelium Kraft und Wahrheit und trugen das Gefundene ins Leben.

Die Heubudender Gemeinde ist die an Mitgliedern größte Gemeinde in Westpreußen. 1941 umfasst sie 1.500 Mitglieder, davon 320 Ungetaufte (Kinder und Jugendliche). Das soziale Leben spielt sich in der Gemeinde bzw. im Kreise der westpreußischen Schwestergemeinden ab. Die jungen Leute finden ihre Ehepartner vor allem in diesem Umfeld. Johannes beschreibt dies so:

Der Kreis unserer Gemeinden blieb dadurch bis zum ersten Weltkriege recht geschlossen. Die vielen Verwandtenehen, die aus diesem geschlossenen Gesellschaftskreis hervorgingen, waren das biologisch nicht sehr erwünschte Gegenstück zu dieser aus sittlichen Motiven recht erwünschten Abgeschlossenheit von den Niederungen des Daseins. Es war ein nicht wiederzugebendes Erleben, wenn unsere zur Gemeinde zusammengeschlossenen Familien sich in unserer Kirche in Heubuden restlos zum heiligen Abendmahl einfanden. Im Frühjahr 1907 hatten wir über 700 Abendmahlsgäste. 

Rückkehr auf Zeit

Im Sommer und Herbst 1945 kehren einige Mennoniten, die geflohen waren, aber keinen Ausweg aus Westpreußen gefunden hatten, zurück ins Werder. Johannes ist unter ihnen und nimmt in dieser ausweglosen Lage sein Predigeramt wieder auf. Es sterben viele von der Flucht und ihren Strapazen geschwächte Gemeindemitglieder.

In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Johannes diese schwere Zeit.

Aber auch als Prediger der Gemeinde Heubuden bekam ich noch Dienst […].Nacheinander wurde ich zu den Beerdigungen von Frau Willms, Kalthof, Frau Gustav Dick, Heubuden, Bruder Hermann Neufeld, Tralau, und Frau Frieda Harder, Halbstadt, zugezogen. Frau Willms, Kalthof, wurde auf dem Friedhof in Stadtfelde begraben. Ich ging quer über die Felder erst ins Haus. Dann fuhren wir die Leiche zum Friedhof Stadtfelde, nachdem ich am Sarge ein Gebet gesprochen hatte. Auf dem Friedhof hielt ich dann einen kurzen Nachruf und segnete die Leiche in der bei uns üblichen Weise ein. Dann half ich noch die Gruft zuzuscharren und ging heim. […]

Dann schlief eines Tages Frau Gustav Dick ein. Aus einer alten Schlafbank baute ich einen Sarg und beerdigte sie in ähnlicher Weise wie Frau Willms auf unserem Heubudener Friedhof. Man hatte kein Transportmittel, um die Leiche zum Friedhof zu bringen, da sprang mein guter Bauer Marchaj [polnischer Bauer, dem Johannes‘ Hof zugewiesen worden war und bei dem Johannes Unterschlupf fand] ein. […] Die Leiche Bruder Neufelds brachte man auf einem Handwagen aus Tralau nach Heubuden, wenn ich mich recht entsinne. Seine Frau und seine Tochter waren bei der Beerdigung zugegen und wer sonst noch zu erreichen war. […]

Zuletzt beerdigte ich noch Frau Frida Harder geb. Klaaßen aus Halbstadt. Man hatte sie mit Fuhrwerk zur Kirche gebracht und unter der Orgel aufgestellt. Vater Klaaßen, Marie Klaaßen, Onkel Cornelius Driedger und die schon Genannten waren die letzte Trauergemeinde in unserer anheimelnden Kirche. Tante Reimer spielte die Orgel, wir sangen noch ein Lied, ich sprach das letzte Gebet in unserem alten Gotteshause, anschließend erfolgte die Beerdigung auf dem Friedhof. Bis zuletzt hielten die Gemeindeglieder, so gut es eben ging, treu zusammen.

Am 4. Oktober 1945 verlässt Johannes endgültig Heubuden. Er kehrt nie wieder zurück.