
Eckbert und Magda auf der Flucht
Flucht nach Danzig und weiter auf die Halbinsel Hela
Am 24. Januar 1945 verlassen Johannes, seine Frau Magda und sein Sohn Eckbert Heubuden. Sie fliehen vor der anrückenden sowjetischen Armee und lassen ihr Zuhause zurück.
Am 10.März überholen sowjetische Panzer bei Schlochau (heute Człuchów, Polen) den Flüchtlingsstrom, in dem sich die Familie befindet. Johannes lenkt an diesem Tag einen Pferdewagen weiter hinten, Magda und Eckbert fahren weiter vorne. Im Getümmel entkommen die beiden den sowjetischen Soldaten. Eckbert, mit seinen 15 Jahren, treibt das Pferd nach vorne und überquert mit allen auf dem Verdeckwagen gerade noch einen Fluss, bevor die Brücke hinter ihnen explodiert. Es gibt keinen Weg zurück, so verlieren sie Johannes.

Magda und Eckbert erreichen am 13. März, nachdem ihr Pferd schlapp gemacht hatte, nach einem Fußmarsch und einer Mitfahrgelegenheit schließlich per Straßenbahn Danzig (heute Gdańsk, Polen). Dort warten sie vergebens auf Johannes. Als Danzig brennt, flüchten sie auf die Frische Nehrung (heute Mierzeja Wiślana, Polen) und später auf die Halbinsel Hela (heute Mierzeja Helska, Polen) mit dem Ziel Dänemark.
Im April strömen über 380.000 Flüchtlinge auf Hela, einen der letzten Orte, von wo ein Entkommen noch möglich scheint. Die Wehrmacht bringt viele Flüchtlinge in das noch besetzte Dänemark, andere in den Westen Deutschlands. Basierend auf Eckberts Erinnerungen beschreibt Johannes den Weg seines Sohnes und seiner Ehefrau aus der Kriegszone, über die Ostsee, nach Dänemark.
Am 7.4. um 10 Uhr wurden sie von einem Landungsfahrzeug der Kriegsmarine [an der Frischen Nehrung] aufgenommen und auf ein Schiff gebracht. 19 Uhr Abfahrt, 22 Uhr Ankunft in Hela. Am 8.4. erlebten sie im Keller unter der Post einen schweren Fliegerangriff, bei dem [der] Keller teilweise verschüttet wurde. Am 9.4. um 16 Uhr wurden sie auf kleine Schiffe verladen. Mutter Magdalena Driedger wäre beinahe am Strand geblieben. Dann erfolgte ein erneuter Fliegerangriff, bei dem ein anderes Seeschiff vernichtet wurde. Die Lieben waren auf den Hilfskreuzer Orion verladen und kamen mit dem Schrecken davon. Am 9.4. um 19 ½ Uhr Abfahrt von der Helaer Reede. Am 11.4. um 15 Uhr Ankunft in Kopenhagen. Am 13.4. 9 Uhr erfolgte die Ausladung und die Einweisung in die Flüchtlingslager. Am 15.4. erkrankte meine liebe Frau an einer schweren Rippen- und Brustfellentzündung und war bis zum 26.4. in der Krankenstube. Am 5.5. war Kapitulation. Damit begann das Leiden hinter Stacheldrahtzäunen.
Flüchtlinge in Dänemark
VIMU, ein virtuelles Museum zur Geschichte Schleswig-Holsteins und Süddänemarks beschreibt die Lage in Dänemark im April und Mai 1945:
Die deutschen Besatzungsbehörden bringen die Flüchtlinge in Wehrmachtslagern und Lazaretten unter, außerdem beschlagnahmen sie Schulen, Hotels, Sporthallen und Fabrikgebäude, um sie „über Nacht“ zu oft unzureichenden Flüchtlingsunterkünften umzufunktionieren. […] Die konkreten Lebensverhältnisse unterscheiden sich, viele Flüchtlinge leben jedoch unter schwierigsten hygienischen Bedingungen zusammengepfercht in Massenlagern. […]
[Nach der Teilkapitulation der Wehrmacht am 5.5.1945]
Für die dänische Seite ist die Situation ebenso schwierig: Die hilfsbedürftigen Flüchtlinge haben dieselbe Nationalität wie die ehemaligen Besatzer, es könnten ihre Familien sein. […] Mitte Juli erklärt das britische Hauptquartier der dänischen Regierung, dass die Flüchtlinge mindestens den Winter über in Dänemark bleiben sollten, die Versorgungslage im ehemaligen Deutschen Reich sei zu schlecht, um sie aufzunehmen. Für viele Flüchtlinge verbessert sich die Versorgung in den nächsten Monaten. […] Die Ernährung ist einfach und recht eintönig, aber grundsätzlich ausreichend, während in Deutschland viele hungern. Dänische Ärzte führen Pflichtschutzimpfungen durch, ansonsten leisten vor allem Flüchtlinge selbst als Pflegepersonal oder Ärzte notdürftige medizinische Hilfe. Doch die Deutschen bleiben interniert und isoliert von der dänischen Bevölkerung, um ein eventuelles Einleben der Deutschen in Dänemark zu verhindern.
Am 8. Mai 1945 unterzeichnet die deutsche Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation. Europa ist befreit von den Schrecken des Nationalsozialismus. 245.000 deutsche Flüchtlinge befinden sich in Dänemark, die dänische Bevölkerung empfindet diesen Zustand in der eigenen Notlage, sich kaum selbst ernähren zu können, als zweite Besatzung.

Dänemark muss sich allerdings dem Willen der West-Alliierten beugen, denn weder die amerikanische noch die britische Besatzungsmacht erlauben den Zuzug von Flüchtlingen in ihre Zonen, noch erlauben sie die Rückführung in die sowjetische Besatzungszone. Zum einen ist der Hunger in den Westzonen noch dramatischer als in Dänemark, zum anderen will man verhindern, dass die Flüchtlinge in den sowjetischen Einflussbereich kommen.

Rückkehr zu Johannes
Johannes hat es mittlerweile nach Sehlde bei Wolfenbüttel geschafft. Bis Dezember 1945 weiß er allerdings nichts über den Verbleib von Magda und Eckbert. Die letzte Erinnerung an die beiden ist die Trennung im Chaos der Flucht fast ein Jahr zuvor.
Er erfährt, dass sich das amerikanische Mennonitische Zentralkomitee (MCC) darum bemüht, mennonitische Flüchtlinge in dänischen Lagern zu identifizieren, zu besuchen und Lebensmittel bereitzustellen. Als Listen der Flüchtlinge bekannt werden, erhält er die Auskunft, dass seine Ehefrau und sein Sohn im Lager Aalborg West leben. Eine Kommunikation mit Magda und Eckbert ist zunächst nicht möglich. Der Postverkehr ist nur innerhalb der Westzonen zulässig, Briefe ins oder aus dem Ausland werden nicht zugestellt. Als Einwohner der britischen Besatzungszone ist es Johannes ab April 1946 erlaubt, zwei Postkarten pro Monat ins Ausland zu schicken, jeder Postverkehr unterliegt der Zensur.
1946 befinden sich 7,9 Millionen Flüchtlinge in den zerbombten Westzonen. Erst ab November 1946 gestattet die britische Administration als erste der Westalliierten den Zuzug von Flüchtlingen aus dem Ausland unter strengen Auflagen. Nur Familienzusammenführungen sind zulässig. Eine Gesundheitsprüfung muss bestanden werden, die lokale Besatzungsbehörde muss den Zuzug genehmigen; das tut sie nur, wenn Wohnraum nachgewiesen werden kann. Keine leichte Aufgabe für Johannes, denn Wohnraum ist knapp – viele suchen verzweifelt nach einer Bleibe. Es gelingt ihm, und nach zwei Jahren der Trennung und Ungewissheit schließt er die beiden wieder in die Arme.
Am 3. Dezember [1946] passierten Magda und Eckbert die deutsche Grenze und schickten mir nach Sehlde ein Telegramm […]. Es war ein sehr freudiges und warmes Wiedersehen das von stiller Bedrückung über die Frage um unser weiteres Schicksal nicht frei war.