
Albert Krehbiels Kriegstagebuch 1914–1916
Einleitung
Das Tagebuch von Albert Krehbiel bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Erlebnisse und inneren Konflikte eines mennonitischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Begonnen am 1. Oktober 1914, spiegelt es zunächst die damals weit verbreitete Kriegsbegeisterung wider. Im Verlauf des Krieges wird jedoch immer deutlicher, wie sich die anfängliche Begeisterung in eine Auseinandersetzung mit der harten Realität und den damit verbundenen Zweifeln und Sinnfragen wandelt.
Albert schildert seinen Alltag an und hinter der Front und lässt dabei immer wieder seinen festen Gottesglauben und die enge Verbindung zur Familie und zum Weierhof erkennen. Das Tagebuch endet am 24. August 1916.
Bemerkenswert ist, dass Albert wenige Tage vor seinem Tod am selben Frontabschnitt an der Somme seinem Weierhöfer Nachbarn Erich Göbel begegnet. Aus dem erhaltenen Tagebuch Erichs erfahren wir mehr über die Umstände von Alberts Tod.
Die Schlacht an der Somme zählt zu den blutigsten Kämpfen der Westfront. Sie dauert von Juli bis November 1916 und führt zu einem Geländegewinn von lediglich 10 Kilometern an dem entsprechenden Frontabschnitt für die Alliierten, die etwa 700.000 Gefallene Soldaten zu beklagen haben. Die deutschen Verluste belaufen sich auf rund 500.000 Soldaten betrugen. Albert ist einer von ihnen.
Kriegsjahre 1914/15
Während Alberts Garnisonszeit in Metz wechseln sich Vorfreude und Langeweile, Müßiggang und militärische Übungen ab. Die Erwartung des bevorstehenden Fronteinsatzes wächst, während er mit zunehmendem Unmut auf jene Kameraden blickt, die bereits an der Front sind. Doch mit den ersten Tagen im Einsatz holt ihn die Realität des Krieges ein.
5. Dezember 1914
Wir neun Mann reisen von Metz nach Hammelburg ab. Ihre Namen mögen sie eigenhändig eintragen:
- „Dem treuen Kameraden Krehbiel, Hurrah, Heil und Sieg!“ Hans Bohländer, Lehrer aus Sommerau bei Obernburg, Unterfranken.
- Oskar Muehlon, cand. […], Aschaffenburg.
- „Mit Gott für König für Vaterland!“ A. Zeiss, Lehrer, Ochsenfurt.
- „Auf zum Kampf für Thron und Altar!“ Georg Schmitt, Rechtsprüfer, Godelhof, bei Bannach, Unterfranken.
- „Durch Kampf zum Sieg!“ A. Sommers, Gerichtssekretär aus Niederhorbach, bei Bad Bergzabern, Pfalz.
- „Süß und ehrenvoll ist der Tod fürs Vaterland!“ Karl Friedrich Strock, Praktikant med.dent.
- „In Treue fest!“, Michael Bauer, Bankbeamter aus Speyer, Rhein.
- „Ans Vaterland, ans teure, schließ Dich an!“ Eduard Müller, Gymnasiast aus Herxheim, bei Landau, Pfalz.
Da wir zu unserer Fahrt zwei Tage benötigten, brachte ich nach vielen Bemühungen meine Kameraden dahin, die Nacht auf dem Weierhof zu verbringen. Abends 10 Uhr kamen wir in Marnheim an. Am nächsten Morgen um 6.15 fuhren wir wieder weiter. Als wir frühmorgens noch im Dunkel der Nacht auf dem Weg zur Bahn am Seer Weg vorbeischritten, tönten plötzlich die Klänge Morgenrot, Morgenrot – leuchtet uns zum frohen Tag vom Brückelchen zu uns herüber. Ergriffen hörten wir das Ständchen, das uns Else Löwenberg, Johanna Galle und Thilde Neff brachten. Unwillkürlich gelobt sich jeder sein Leben zu wagen zur Verteidigung des Vaterlandes, in dem solche Mädchen leben.
19. Februar 1915
Mittwoch um 12 Uhr 15 fuhren wir in den Potsdamer Bahnhof ein. Auf der Such nach einem Nachtquartier wurde uns das Hotel Zur Krone, Taubenstrasse 50 empfohlen. Wir waren gut untergebracht und zahlten für Quartier und Frühstück 2 Mark. Den Tag benutzen wir uns in Berlin umzuschauen. Die Siegesallee ist einzigartig und beim Anblick des Schlosses sehe ich im Geiste das Schloss von einer tausendköpfigen Menge umlagert, auf dem Balkon droben unsern Kaiser, wie er gerade die Worte spricht „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche“.“
7. April 1915
Karfreitag und Ostern liegen hinter uns. Der heißersehnte Urlaub nach Friedrichstadt wurde nicht gewehrt, da am Samstag die Offiziersaspiranten-Prüfung stattfinden soll. Karfreitag war infolgedessen kein „frei“-tag für uns, sondern ein grosser Arbeitstag. In der schriftlichen Prüfung mussten wir in einstündiger Arbeitszeit eine kurze Bearbeitung folgender drei Themen liefern:
- Was muss der Offizier von den ehrengerichtlichen Bestimmungen wissen?
- Tätigkeit der Zug- und Gruppenführer im Gefecht
- Wichtigkeit der zutreffenden Visierstellungen für den Treffererfolg
In der sich anschließenden mündlichen Prüfung mussten ich reden über:
- Übergang von der geöffneten Ordnung zu der geschlossenen
- Manneszucht
25. April 1915
Rasch waren die Urlaubstage verflogen und der Abschiedstag da. Mit dankbarer Stimme für alles Gute, dass mir der liebe Gott in meiner Militärzweit erwiesen, besonders für die achte Tage Urlaube, liessen gar keinen Abschiedsschmerz aufkommen. Wieder in Metz und doch so anders wie vorher. Bei der Vorstellung beim Major am nachten Morgen wurde uns mitgeteilt, dass wir auf die einzelnen Kompanien verteilt werden. Wir haben uns am Mittagsmahl der Herr Offiziere zu beteiligen. Ich war sehr erstaunt über den freien und ungezwungenen Verkehr. In einigen Tagen hoffe ich die Befangenheit überwunden zu haben. Bereits am ersten Abend waren wir in Gesellschaft. Einige ins Feld abrückende Offiziere feierten Abschied.
16. Mai 1915
Wir weilten im Fort Leipzig, um den Vorführungen der Pioniere zuzusehen. Diese Mal war es besonders die neuen Nebelbomben, die mein Interesse erregten. Sie wirken nicht tödlich, sondern erzeugen eine undurchsichtige Wand, wirken reizend und ätzend auf Kleider und Haut. Heute wurde auch das Kasino in unserer Kaserne eröffnet, da er gerade einen Monat ist, dass wir zu Vizefeldwebeln befördert wurden, konnten wir doppelt feiern.
25. April 1915

Gestern Morgen von 5:20 bis 6:30 machte ich allein eine Kahnfahrt auf der Mosel. Anschließend verbrachte ich eine Stunde in einer herrlichen Laube mit Blick auf Metz mit Lesen zu. Eine Nachtigall sorgte mir für liebliche Musik. Mittags wanderte ich von Longville über das Bismarckdenkmal nach Moulin. Bei den Eintragungen vergaß ich den neuen Sieg über die Russen zu erwähnen. Ich saß gerade mittags um 12:30 an meinem Tisch als ich plötzlich höre, dass die „Moutte“ geschlagen wird. Es ist die große Kaiserglocke hier, die nur bei großen Dingen, wie an Kaisers Geburtstags ihre eherne Stimme erschallen lässt.
27. Juni 1915
Am 11. Juni zur Heuernte acht Tage heimgefahren. Der Herr Major sagte: „Sie brauchen nicht hier zu bleiben, sie sind zu Hause notwendig, aber bedenken Sie, dass Sie Offiziersapsriant sind und die Arbeiten, die andere tun können, die lassen Sie sein!“ Vor ein paar Tagen kehrte ich nach Metz zurück, da in unserem Ersatzbataillon sehr viele Mannschaften über die Heuernte beurlaubt wurden.
3. Juli 1915
Gestern sind Kompanie Weber und Rupp, die ersten fort zu dem erwähnten vierzehntägigem Pionierdienst hinter der Front. In vierzehn Tagen hoffen Zeiss und ich dasselbe zu beginnen. Die Woche verlief ziemlich gleichmäßig. Täglich berichteten die Zeitungen das siegreiche Vordringen in Galizien. Gestern Abend 5 Uhr marschierten wir zu einer gemeinsamen Nachtübung mit fünf Landwehr-Achter und –Vierer. Ich hatte dabei mal so Recht die Tätigkeit als Zugführer, wie ich sie auch draußen im Schützengraben haben werde. Um 6 Uhr früh waren wir zurück.
10. Juli 1915
Wer kennt die wunderbaren Geheimnisse der Gedankenübertragung. Zu der Stunde in der ich um „Roten“ bitte, sendet ihn die Mutter. Dazu die Worte gegen verdorbenen Magen. Zu der Stunde, da er in meine Hände kommt, habe ich seit Wochen die ersten Magenbeschwerden. Es ist wunderbar, wie ein Mutterherz die Bedürfnisse des fernen Sohnes fühlt. „Heute widerfuhr mir eine große Freude. Von Else Löwenberg erhielt ich neben einem elf Seiten großen Brief ein wunderhübsches Bild meines Vaterhauses, wie habe ich mich darüber gefreut, zumal mein liebes Mütterlein am Fenster steht.“
10. Juli 1915
Seit Freitagabend 11 Uhr weilen wir hier. Bürgermeister Esch, ein Mennonit erfuhr, dass ich ebenfalls Mennonit bin, er lud mich ein bei seinen Eltern Wohnung zu nehmen. Ich fand freundlichste Aufnahme. Herr Bürgermeister bewirtschaftet hier ein Gut von 600 Morgen – typisch mennonitisch. 100 Mann unseres Bataillons und 100 Mann des 5. Landwehrinfanterie-Regiments sind hier, um bei der Anlage neuer Stellungen mitzuhelfen. Gestern Abend schlug eine Granate in das erste Haus von Sologne ein. Sie durchschlug das Dach und krepierte in der Decke. Heute früh um 3 Uhr 30 marschierte ich mit meiner Abteilung zum ersten Mal hin zur Arbeitsstätte im Wald von Le Parc, nahe bei dem Dorf Mailly. Beim Eintritt in den Wald erinnerte uns ein einfacher Gewannenstein, der auf der einen Seite ein D, auf der anderen Seite ein FR trägt, dass wir im Begriff sind französischen Boden zu betreten. Ich benutzte die Gelegenheit meine Leute auf die denkwürdige Stunde aufmerksam zu machen. Vor 45 Jahren erklärte Frankreich unseren Vätern den Krieg und jetzt im neuen Krieg überschritten die Söhne zu der abermaligen Verteidigung des geliebten Vaterlandes, die französische Grenze.
30. Juli 1915
Letzter Tag in Solgne. Ich lernte hier ein sehr nettes Mädchen, Fräulein Minny Virille kennen. Sie macht auch auf mich einen sehr guten Eindruck. Sie ist nach ihrem Wesen ganz deutsch, wenn auch französischer Abstammung. Mit wehem Mut scheide ich von hier. Ich war hier zu Hause. Herr und Frau Esch waren mir fast Eltern. Unser Mütterlein im Pfarrhaus war eine treue, rührend anhängliche Seele.
Am wichtigsten ist der gestrige Tag für mich in militärischer Hinsicht gewesen. Ich habe da zum ersten Mal auf Franzosen geschossen. Zusammen mit Mitkamerad Zeiss besuchten wir unsere vordere Infanteristelleung bei Abancourt. In einer Entfernung von ca. 1200-1400 Metern arbeiteten französische Soldaten. Auf sie gaben wir ca. 60 Schüsse ab.
Beim Rückblick auf die verflossenen vierzehn Tage muss ich bekennen, sie waren die schönsten während meiner Militärzeit. Minny, leb‘ wohl!
3. August 1915
Gestern am Jahrestag des ersten Mobilmachungstages bezog ich zum ersten Mal als wachehabender die hiesige Hauptwache. Ich hatte auch Parade. Ein Jahr des grässlichen Krieges ist nun vorüber. Wessen Herz hat nicht höher geschlagen als er die Worte las, die unser Kaiser zu diesem Anlass an sein Volk richtete: „Vor Gott und der Geschichte ist mein Gewissen rein, ich habe ihn nicht gewollt!“ So kann doch nur er sprechen, trotz der erneuten eindringlichen Bitte Frieden zu schließen, kann man eben noch kein Ende sehen. Unsere Sache steht überall gut. In Russland sind wir im unaufhörlichen Vorwärtsdringen. Wir halten fest an dem Bibelwort „Bis hier her hat der Herr geholfen, er wird auch weiterhelfen.“
8. August 1915
Heute früh auf dem Heimweg von der Kirche spricht mich ein älterer Herr mit einem Trauerband am Arm an. Mit Tränen im Auge erzählt er mir, dass sein einziger Sohn als Offiziersstellvertreter gefallen ist. Ich hatte deutlich das Gefühl „wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“. Der Mann suchte Trost. Womit soll ich in trösten? Ich wies daraufhin, wie gut der Tote es jetzt habe, viel besser als in einem langen Leben und dass sie sich doch wieder in kurzer Zeit zu sehen hoffen. Ja, welche Quelle des Trostes bietet uns doch Gottes Wort. Wo sollten wir sonst Trost suchen?
31. August 1915
Das bedeutsamste für mich in dieser Woche die Beförderungsfrage. Da wir jetzt elf Monate haben, können wir nach kriegsministerieller Verfügung zum Reserveoffizier befördert werden. So machten wir am Montag unsere Offiziersprüfung, die nur aus praktischer Prüfung bestand. Jeder hatte eine Feldaufstellung zu machen mit Skizze und danach ein Gefecht. Anschließend fand noch etwas Zugexerzieren statt. Als Offizier, der über mein Verhalten Auskunft geben kann, habe ich angegeben: Hauptmann Eduard Krehbiel, Oberleutnant Wilhelm Krehbiel (1879-1971) und Leutnant Ernst Göbel (1889-1917).
30. September 1915
Morgen früh geht’s ins Feld. Welch‘ herrliche Fügung: Am 1. Oktober 1914 zum Militär eingerückt. Am 1. Oktober 1915 ins Feld ausgerückt. Das nun erste abgeschlossene Kriegsjahr will ich hier unterschreiben mit „Bis hier hat der Herr geholfen“ und den Anfang des zweiten Jahres überschreiben „Er wird auch weiterhelfen“.
Mein längst gehegter Wunsch ging in Erfüllung, dass ich noch einmal zu Hause auf dem Weierhof sein durfte und mit den lieben Eltern das heilige Abendmahl zu feiern. Auch Bruder Johannes traf ich zu Hause. Der Abschied an der Bahn brachte zum Ausdruck, dass ich viele Lieben habe, die mir in Treu zugetan sind.
10. Oktober 1915
Ich bin in Corvin in meinem gemütlichen Quartier, Rue de la Procession 19. Meine Hausfrau legt großen Wert auf peinliche Sauberkeit und ist sehr gefällig. Meine in der Anstalt erworbenen Kenntnisse der französischen Sprache kann ich hier sehr gut verwerten. Leider habe ich schon sehr viel vergessen.
Wir lagen noch einen Tag in Unterstützung nordwärts Messines. Wir kommen zu einer kritischen Zeit, da für den nächsten Tag ein Angriff der Engländer erwartet wird. Es wurden alle Vorbereitungen getroffen, doch ereignete sich nichts. Am Abend rückten wir in die erste Linie vor. Die gut ausgebauten 2,5m bis 3m tiefen, fast durchweg verschalten und trockengelegten Gräben, erregten meine Bewunderung. Wieviel besser haben wir es doch dieses Jahr wie unsere Kameraden voriges Jahr zu Beginn des Stellungskrieges.

18. Oktober 1915
Sechs Tage Schützengrabendienst, liegen wieder hinter uns. Die Anforderungen, die da an unsere Mannschaft gestellt werden, sind sehr groß. Es waren drei Gänge zu machen. Um 1 Uhr hörte man in süd-südwestlicher Stellung ununterbrochenen Geschützdonner. Um 2 Uhr fangen plötzlich alle unmittelbar hinter uns im Tal aufgestellten Batterien zu feuern an. Gleichzeitig hört von unserer ersten Linie her, das ruhige Rattern unserer Maschinengewehre. Dieser Geschützkampf hatte etwas überwältigendes für mich. Besonders bei den schweren Batterien, da noch bei uns die Erde erbebte und die Geschosse die Luft durchschnitten, fühlte ich deutlich die eigene Schwäche. Bei der großen Anspannung ist es erklärlich, wenn wenig Dienstfreudigkeit vorhanden ist. Das Denken unserer Mannschaft ist am treffendsten mit dem Simplicissimus-Worten ausgedrückt „Das Kriegführen wäre ganz schön, wenn nur der saudumme Heldentod nicht wäre!“ Die Begeisterung ist verschwunden, doch die Erkenntnis, dass wir diesen Krieg zum siegreichen Ende führen müssen, wenn wir nicht ganz verloren sein sollen, hält die Leute auf ihren Posten.“
28. Oktober 1915
Nachdem wir auf einen in der Nähe gelegenen Acker umgruppiert hatten, ging es sofort in Stellung. Was fanden wir vor? Einen Graben, in dem man zwar aufrecht gehen konnte, ohne aber herauszuschauen, doch so schmal, dass man Mühe hatte mit dem Tornister durchzukommen, jede Verschalung, jeder Schützenauftritt fehlte. Unterstände fehlten vollkommen, dafür hatten die Leute in Vorder- und Rückenwand Löcher gewühlt, in die sie sich zum Schlafen hineinkauerten.
Diese gewährten gegen Regen nur mangelhaften, gegen Granatfeuer, gar keinen Schutz. Ganz vereinzelt war ein Schützennest mit Schussrahmen zu finden. Ich selbst fand Unterschlupf in dem Anfang eines Stollens, sieben Stufen führten in den weißen Kreideboden hinab. Unten war aber noch keine Erweiterung geschaffen, so dass ich mich für die erste Nacht auf den untersten Stufen niederlies. Trotz des mitgenommenen Teppichs habe ich noch ziemlich gefroren. Die Leute taten mir furchtbar leid, als ich sie in ihren kümmerlichen Nestern, einen Teil wegen Mangels an solchen, mitten im Graben liegen sah. Zu allem lag noch dichter, feuchter Nebel auf der Erde.
4. November 1915
Vier schwere Tage liegen hinter uns. Sehr schwer hatte ich unter der Unlust und dem bösen Willen der Leute zu leiden. Am zweiten Tag war ich sehr nahe daran, dass ich die Gewalt über die Leute verloren hätte. Nicht nur, dass mich die Unteroffiziere nicht unterstützen, sie schimpften selbst feste drauf los. Von Freudigkeit beim Dienst ist keine Spur mehr vorhanden. Alles wird nur mit Widerwillen getan.
11. November 1915
Soeben habe ich Leutnant Ernst Göbel besucht, d.h. ich wollte hin zu ihm. Da begegnete er mir schon unterwegs. Wir gingen einige Minuten zusammen spazieren. Gestern habe ich auch seinen Bruder Erich ganz zufällig getroffen. Als ich gerade beim Baden war, traf ich einen Hammelburger Kameraden von den 23ern, beim Weggehen denke ich noch daran, ihn nach Erich zu fragen und da sagte er „Der ist auch hier“. Sofort suchte ich ihn in seiner Kabine auf. Als dritten lieben Bekannten suchte Vetter Jakob Rinsinger mich letzten Montagmittag in meiner Wohnung auf. Er war nachts aus der Stellung gekommen. Rasch tauschten wir einige Worte und Erlebnisse auf, dasn musste er wieder gehen Ich freue mich, dass ich diese drei lieben Bekannten auch nun hier in Feindesland begrüßen durfte.
So war auch am Dienstagnachmittag eine heftige Kanonade. Da ich gerade Kompaniedienst hatte, hielt ich mich im Graben auf. Ich will mich gerade in den Unterstand zurücklegen, vom Kompanieführer wegen des Feuers dahin verwiesen, als ein Artilleriegeschoss, was es genau war, weiß ich nicht mehr, drei Meter vor mir in die Rückenwehr einschlägt. Doch weder mir, noch den Anderen im Graben Anwesenden durfte es uns etwas tun. Es ist das Herrliche, dass uns nichts etwas antun kann, außer ist es von Gott zugelassen. Ihm allein gebührt der Dank und die Ehre.
23. November 1915
Lange Zeit habe ich nicht mehr geschrieben, die Zeit vergeht und man hat nicht viel gearbeitet. Ich fühle so deutlich an mir, man hat zu nichts richtig Lust. Ich bin ganz zufrieden, doch auch fehlt jeder Eifer zu irgendeinem Werk. Es sind das Verantwortungsgefühl und das Pflichtbewusstsein, die mich antrieben.“ Regimentskommandeur Major von Haasy spricht mit uns Offizieren: „Mögen sie mich in praktischer und taktischer Hinsicht als den größten Esel bezeichnen, das ist mir egal. Das soll man sagen, dass ich verlässlich bin, und dass ich in meinem Regiment Zucht und Ordnung halte.“ Um letzteres zu erreichen, gibt er jetzt nach 16-monatiger Kriegszeit vom Feldwebel abwärts, trägt alles im Dienst-Feldmütze.
Sollte man es für möglich halten, da wir jetzt schon im schwersten Kampf stehen, solche Befehle erlassen werden?“ Viele schwere Tage liegen hinter uns. Zur Erhöhung der Arbeitsleistung kam der Befehl acht Stunden durchzuarbeiten. Sehr schwer hatte ich unter der Unlust und dem bösen Willen der Leute zu leiden. Nicht nur, dass mich die Unteroffiziere nicht unterstützen, sie schimpften selbst feste drauf los. Nun konnte ich mit Schimpfen auch die Leute nicht mehr an der Arbeit halten. Ihre Kriegsmüdigkeit machte sich kund. Entgegen dem Befehl ließ ich abrücken. Kriegsmüdigkeit – von Freudigkeit beim Dienst ist keine Spur mehr vorhanden.
9. Dezember 1915
Die Aussicht ist nicht sehr rosig. Seit längerer Zeit haben wir schon sehr regnerisches Wetter. Dazu kommen wir in Stützpunkt 5 und somit in nahe Berührung mit unserem Herrn Regimentskommandeurs. Dies sagt schon genug! Die letzten 12 Tage hatte ich also fast gar nichts zu tun. Doch innerlich recht zufrieden war ich nicht. Es ist einmal wahr, dann ist man am glücklichsten, wenn man seiner friedlichen Arbeit nachgeht. Gebe der liebe Gott mir die Kraft auch meinem jetzigen Beruf mit der gleichen Freudigkeit zu erfüllen und segne er mein ehrliches Bestreben die Liebe meiner Leute zu gewinnen. Doch die Erfüllung meiner Pflicht steht mir noch über diesem Bestreben.
12. Dezember 1915
Während des Anmarschs zur Stellung regnete es so stark, so dass meine Hosen vollkommen durchnässt waren als ich vorne angelangte. Am Oberkörper bot mein Gummimantel einigen Schutz. Aber nicht allein durchnässt, sondern auch bis zum Leib herauf beschmiert kamen wir nach vorne. In dem Augenblick da ich in meinen Unterstand (wenn ich das Loch so nennen darf) krabbelte, fühlte ich recht deutlich die Größe der Entbehrungen, die der Krieg uns auferlegt hat. Wollt ihr Euch meinen Unterstand vorstellen, so denkt Euch von der Grabensohle schräg in die Erde gehendes Loch. Dieses ist mit Holzrahmen verkleidet. Unten sitzen drei Rahmen auf gleicher Höhe, so dass ein kleiner Raum entsteht. Darin liegen zwei mit Sandsäcken belegte Bretter. Das war mein Wohnhaus.
Wir arbeiteten hauptsächlich an einem Verpflegungsdepot. Der Gedanke eines solchen ist ja ganz gut. Aber die Zeit der Ausführung oder die Anlage desselben ist vollkommen verkehrt. Ich will nur fragen, „warum baut man nicht zuerst Unterstände?“ Unsere Mannschaft, die nun schon sechzehn Monate willig alle Entbehrungen des Krieges auf sich nimmt, hat doch wenigstens Anspruch darauf in den wenigen Ruhestunden, die ihr verbleiben ein Plätzchen zu haben, wo sie sich ein bisschen ausruhen kann. So ist es halt beim Militär. Jeder Befehl ist gut und berechtigt, doch in Folge der vielen Befehlsstellen, die die Verhältnisse und Bedürfnisse nicht genügend zu würdigen wissen, sind so viele Befehle unzeitgemäß und verfehlt in ihrer Ausführung.
Und gerade wir Zugführer leiden darunter am meisten. Wir müssen diese Befehle ausführen mit unseren Leuten, obwohl wir deutlich sehen, dass manches verkehrt ist. Unsere Mannschaft empfindet das Verkehrte selbstverständlich ebenso gut, doch sind es nur Wenige, die verstehen, dass wir da gegen unsere Überzeugung handeln. Die meisten fassen alles als Schikane des Zugführers auf. So entsteht der Zustand, wie ich ihn schon in meinem Zug habe: Die Leute haben kein Vertrauen und keine Liebe zu mir. Und das tut mir so sehr leid. Ich fühle mich unfähig meinen Platz richtig auszufüllen. Als ich so einmal ganz aufgeregt war, bat ich den lieben Gott mir doch wieder meine Kraft zu geben und fünf Minuten später war ich vollkommen ruhig, stark und freudig.
23. Dezember 1915
Schon vor dem letzten Ausmarsch in die Stellung waren zwei Weihnachtspaketchen von Friedrichsstadt und Johannes Krehbiel IV bei mir eingetroffen. Bei meiner Rückkehr aus der Stellung fand ich außer vier Päckchen von daheim, noch zehn andere vor. Dies ist doch der glänzendste Beweis, dass man Daheim den Soldaten in Liebe und Dankbarkeit gedenkt. Die Namen der lieben Geber möchte ich für alle Zeiten festhalten, drum sollen sie hier folgen: erstens meine Geschwister, Marie Zerger, Neudorferhof, zweitens Katharina Galle, drittens Johannes und Johanna, viertens Tante Babettchen, fünftens Familie Kaegy, Weierhof, sechstens Else Löwenberg, siebtens Frau Professor Krehbiel, Zweibrücken, Herrn Pfaller, Marnheim, neuntens R.A.D. [Realanstalt am Donnersberg] und zehntens Mennonitengemeinde Weierhof, elftens Johann Stauffer und zwölftens Magdalena Galle, Monzernheim.
30. Dezember 1915
Leider durften wir dieses Mal nicht ohne Verlust aus der Stellung zurückkehren. Vielleicht eine Stunde war mein Hindernistrupp an der Arbeit als der Landwehrmann Schädler einen Infanterieschuss durch den Oberschenkel erhielt. Schädler war einer meiner Besten, ein stiller, williger Mann. Dann um 4 Uhr morgens geht es plötzlich durch die Kompanie, Schreiner Hoffmann, Philipp aus Biedesheim ist tot. Ein Infanteriegeschoss war am Hinterkopf, während man neue Graben schanzte, eingedrungen und am linken Auge wieder ausgetreten. Ich gönne ihm den leichten Tod. Er war besonders geschickt in der Ausübung seines Schreinerhandwerks mit geringen Hilfsmitteln und aus unzweckmäßigem Material brachte er doch wieder ganz brauchbare Sachen zuwege. Er war beliebt wegen seiner stillen, unverdrossenen Art. Sein Tod reißt somit eine große Lücke in die Kompanie. Da ich ihn schon von meiner Rekrutenzeit in Landau her kannte, stand er mir etwas näher. So hielt ich es für meine Pflicht die schwere Mitteilung seines Todes an die Eltern selbst zu machen und nicht durch die Kompanie besorgen zu lassen.
Kriegsjahr 1916
Albert Kriegsalltag ist geprägt durch regelmässige Quartierwechsel, das Leben zwischen Front und Etappe. Die anfängliche Siegesgewissheit weicht nun der Hoffnung auf Frieden. Die Verwundungen und der Tod seiner Kameraden, die Albert nun unmittelbar miterlebt, sowie die Situation in den Schützengräben und Unterständen machen ihn betroffen. Mit dem Kriegsjahr 1916 kommt auch sein Bruder Johannes Jakob an die Westfront, und tatsächlich gelingt es ihnen, sich hin und wieder zu treffen.
Wie viele saure ehrliche Arbeit und schwierige Pflichterfüllung bleibt ohne jede Anerkennung und zum anderen aus Kleinigkeiten werden kolossale Aufhebungen gemacht. Die Kompanie ist ohne Verluste aus der Stellung zurückgekehrt. Dafür wurde aber unser Ruhequartier schwer heimgesucht. Am dritten Tage, den wir in der Stellung zubrachten, belegte ein feindliches Geschwader von beinahe dreißig Flugzeugen unsere Stadt mit Bomben. Leider hatten sie furchtbaren Erfolg. Eine Bombe fiel in den Hof der 6. Kompanie und tötete von den zurückgebliebenen der Kompanie sechs Mann. Eine zweite Bombe tötete den aus ihren Barracken den Kellern in Haufen zuströmenden Kompanie 18 Mann und verletzte 10 Mann schwer. An Zivilisten wurden nur vier leicht verwundet.
21. Februar 1916
Am gestrigen Sonntag habe ich den geplanten Besuch von Bruder Johannes durchgeführt. 3 Uhr 15 schon, Minuten vor der Zeit lief der Zug in Nemines ein. Johannes, den ich per Karte zur Bahn bestellt hatte, war nicht da. Um 5 Uhr 58 musste ich wieder abfahren.
Es galt also keine Zeit zu verlieren. Ich marschierte also sofort nach dem eine viertel Stunde entfernten S. los und erfahre dort in seinem Quartier, dass er nach Nemines zum Bahnhof ist, um mich abzuholen. Wir waren also am Bahnhof nur durch Häuser getrennt, aneinander vorbeigelaufen. Ich mache mich sofort wieder auf den Rückweg und treffe dann endlich auf halbem Wege mit ihm zusammen. Ich traf ihn ganz gesund und munter an. Ich gewann die Überzeugung, dass die Tätigkeit des Landwehr-Soldaten doch wesentlich leichter ist als die des Infanteristen. Ich sagte ihm, dass auch frei heraus. Wir gingen zusammen nach Nemines um zunächst einen Fotographen, der unser Zusammentreffen in diesem Kriege für immer festhalten soll. Nur allzu rasch war die Zeit der Abfahrt herangekommen. Johannes bedauerte sehr, dass ich nicht über Nacht dortbleiben konnte, trotzdem wird dies kurze Beisammensein uns beiden in freudiger Erinnerung bleiben.
11. März 1916
Es ist Samstagabend; meine beiden Hausdamen sind bereits zu Bett und ich sitze allein unten in der Küche. Vor mir liegt eine Fotographie meiner Schwägerin Johanna, die sie mir zum Dank dafür, dass ich Johannes besucht habe vor einigen Tagen gesandt hatte. Das Bild kam in Begleitung eines ausgezeichneten Kuchens in den Schützengraben. Gestern Abend sind wir ins Quartier zurückgekehrt. Ich war da zum ersten Mal in der Riegelstellung und zwar im Brigadegraben. Bei der Grabenbegehung am ersten Morgen, ließ mich der Abschnittskommandeur, Herr Hauptmann Hase, in langer Rede (!) auf die geringe Verteidigungsfähigkeit des Grabens hin. Ich konnte nun ein paar Leute frei machen, durch die ich einige Schläge mit Schützenauftritten versehen ließ. Für diese Leistung nun zu der ich persönlich fast gar nichts beigetragen habe, spricht mir heute gelegentlich einer Offiziersbesprechung im Bataillon Herr Hauptmann Hase, mir öffentlich seine Anerkennung aus. So geht´s beim Militär!
28. März 1916
Am 22. März kurz vor dem Abmarsch in Stellung brachte die Abendpost eine Münchner Zeitung, die unter den neubeförderten Offizieren auch meinem Namen erhielt. Der gestrige Regimentsbefehl erhielt auch unsere Beförderung. Gestern früh hielt Exzellenz Herr Oberkonistorialpräsident Dr. von Betzel hier Gottesdienst ab. Er sprach sehr eindringlich über das Wort „Seelig sind die Knechte, die den Herrn, wenn er kommt, wachend findet.“
Bei diesem Gottesdienst traf ich auch zwei liebe Bekannte: Erich Göbel, der von seiner Verwundung wieder hergestellt, wieder ins Felde zurückgekehrt ist und Vetter Jakob Galle, Langmeil.
Fotos von der Westfront aus dem Kriegsfotoalbum von Erich Göbel 1914-1917.
14. April 1916
Ich sitze im D-Zug Lille-Berlin auf der Fahrt in den Urlaub. Anstelle von Kamerad Zeiss, der gestern früh verwundet wurde – als er sich an einer blindgegangenen englischen Granate zu schaffen machte, explodierte dieselbe und riss im drei Finger der linken Hand und das vordere Glied des Daumens der rechten Hand ab. Ich hatte das Glück ihn im Feldlazarett Phalempin zu treffen und ich darf sagen, er hatte den Kopf hoch und den frohen Mut nicht verloren.
Meine Eindrücke von der Fahrt: 5:59 in Libercourt abgefahren, 6:50 in Lille – Landschaft völlig eben, wunderbar grünes Feld, vollkommen eingesät bester Lehmboden. 8:02 – soeben haben wir Aalst – hier steht Schwager Heinrich – verlassen. 10:30 Brüssel liegt hinter uns. Dann Löwen, das für seinen Schurkenstreich so schwer hat büßen müssen, liegt ebenfalls hinter uns. Der Bahnhof ist unversehrt, doch kein Haus sonst in der Umgebung bleibt unverschont. C’est la guerre!
17. Mai 1916
Nach vierzehntägiger Pause gehe ich heute Abend wieder in Stellung. Diese vierzehn Tage standen unter dem Zeichen der Postkontrolle. Alle Regimenter der 3. und 4. Division haben Briefe zurückerhalten, sogar Schrott. Ich bin erstaunt, dass für mich nichts dabei war.
Gestern Abend hat Hofschauspieler Dreher aus München hier eine Gastrolle gegeben. Ach, was habe ich gelacht.
25. Mai 1916
Unser Leben fliesst eben wenig ereignisreich dahin. Die vier Tage, die wir in Stellung zubrachten, waren wie die vorhergegangen. Um falsch verbreitete Gerüchte zu widerlegen, will ich hier die bei dem Gasangriff am 29. April eingetretenen Verluste mitteilen; es sind insgesamt 250 Tote und ca. 550 Verwundete, d.h. Gaskranke. Es war für mich eine sehr drastische Zurückversetzung in die grausame Wirklichkeit nach den schönen Urlaubstagen. Rasten doch am Tage nach meiner Ankunft vier Stunden lang ununterbrochen alle Sanitätsautos mit diesen Kranken durch unser Städtchen. Auf Befehl des AOK [Armeeoberkomando] werden aber um das das Verständnis für unsere Luftwaffe zu heben, durch Fliegeroffiziere Vorträge gehalten. Ein vielsagendes Wort dieses Herrn möchte ich hier noch anführen. Mein Kompaniekamerad Leutnant Hüsewig hat in letzter Zeit ein sehr schlechtes Aussehen und vorgestern sagte nun unser Major zu ihm “Sie kommen auch bald ins Massenquartier Phalempin.“ Es ist nämlich auffallend, wie viele Offiziere vom Reserveinfanterieregiment eben in das dortige Lazarett aufgenommen werden. Spielen daneben wirklicher Erkrankung nicht noch andere Gründe mit?
3. Juli 1916
Es ist ziemlich unruhig. Tagtäglich hören wir von Süden her den Donner der Geschütze, die große Offensive der Verbündeten. Südlich von Arras, beiderseits der Somme haben Engländer und Franzosen angegriffen.
In anerkennungswerter Weise bot Herr Oberleutnant mir zu dieser Führung sein Reitpferd an. Es machte mir Spaß an der Spitze der Kompanie auf Pferdes Rücken aus Epinay zu marschieren. Leider setzte in dieser Nacht starker Regen ein, so dass wir in schlechter Stimmung völlig durchnässt wieder einrückten.
Am nächsten Morgen ging es dann wieder auf sieben Tage hinaus. In diesen Tagen demonstrierte der Gegner wieder etwas. In der ersten Nacht, wir waren gerade am Essen, ruft plötzlich der Posten: Gasangriff. Eine halbe Stunde lang trugen wir die Masken, dann wurden sie wieder abgenommen.
Noch in der gleichen Nacht versuchte eine englische Offizierspatrouille unseren Drahtverhau zu durchschneiden. Unsere Maschinengewehre hinderten sie daran.
4. August 1916
Über 14 Tage sind seit meinem letzten Eintrag vergangen. Besondere Verhältnisse sind die Ursache, zum ersten war ich zehn Tage in Stellung mit nur einer Unterbrechung von zwei Tagen. Die ungeheurere Schlacht an der Somme, die eigentlich den wahren Beginn des Krieges mit England darstellt – hat doch England die ganze Zeit auf Schaffung eines Millionenheeres verwandt, zeigt ihre Wirkung auch bei uns. Es gab Veränderungen in der Besetzung, so haben ich aus militärischen Gründen die vorstehende Zeilen durchstrichen.
Eine geringfügige Sache meinerseits, die aber ohne mein Zutun zustande kam, hat mir eine öffentliche Anerkennung des Regimentskommandeurs gelegentlich einer Offiziersbesprechung eingetragen. Außerdem hat mir der Kompanieführer im Vertrauen mitgeteilt, dass das Regiment einen Vorschlag zum Eisernen Kreuz eingereicht hat. Das Drahthindernis vor meinem Zug zeigt eine sehr schlechte Stelle. In der Absicht einen zur Ausbesserung ausgesandten Trupp zu kontrollieren und mir zugleich Gewissheit über den Zustand des Hindernisses zu verschaffen, ging ich in der Nacht hinaus.
Dabei entdeckte ich eine zwei bis drei Meter breite Gasse, die der Gegner durch Minen geschossen und durch Patrouillen hatte schneiden lassen. Diese Gasse hatte der Gegner sich durch drei Meter voneinander entfernt liegende Bündel – ähnlich einer Rolle Dachpappe – die aufgerollt zur Überbrückung des Hindernisses verwendet werden sollen, gezeichnet. Zugleich fanden wir in dieser Gasse mehrere englische Stahlhelme, Drahtscheren und Handgranaten und Infanteriemunition. Zur Belohnung für die so wichtige Feststellung wurde mir vom Regiment eine englische Granate und einen Stahlhelm überlassen.
24. August 1916
Das Wichtigste, was ich heute mitteilen muss, ist dass wir vor dem Abtransport von hier stehen, um an einem Frontabschnitt an der Westfront verwendet zu werden, wo eben schwere Kämpfe toben. Was wird uns die nächste Zukunft bringen? Ich frage nicht ängstlich, denn meine Seels ist stille zu Gott, der mir hilft!
Dies ist der letzte Eintrag in Alberts Tagebuch.
Alberts Tod – Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Erich Göbel
Albert und Erich Göbel (1894–1917) sind gewissermaßen Nachbarn, fast gleich alt und besuchen beide die Realanstalt Weierhof. Zu Kriegsbeginn studiert Erich noch in Heidelberg Französisch, Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Im Juni 1917 fällt er als Soldat der 9. Kompanie des 23. Infanterieregiments bei der Verteidigung des Wytschaete-Bogens, als 19 englische Tiefminen mit insgesamt rund 450 Tonnen Sprengstoff unter den deutschen Stellungen explodieren. An diesem Tag sterben schätzungsweise 10.000 deutsche Soldaten, darunter auch Erichs Bruder Ernst Göbel (1889–1917).
Erich und Albert treffen sich mehrfach im Feld und stehen beide in engem Briefkontakt mit Else Löwenberg.
Das letzte Treffen findet Ende August in der Below-Stellung, an der Somme statt.
1. September 2016
Morgens wurde es wieder helles, schönes Wetter, deshalb gleich rege feindliche Fliegertätigkeit, so dass man sich nicht zeigen wurfte, wenigstens bloss Schrapnellfeuer. Mittags ging plötzlich eine scheussliche Granatschiesserei los. Den ganzen vollen Tag mussten wir in unseren Löchern bleiben und dürfen uns so kaum rühren. Den ganzen Tag in kurzen Abständen schweres Granat- und Schrapnellfeuer.
Während ich mal schnell heraussprang zum „Scheißen“, ging eine Granate direkt über mein „Loch“, so dass der Eingang, wo ich vorher meinen Kopf liegen hatte, samt meiner Habseeligkeiten, verschüttet wurde. Die Granaten gleich einem gewaltigen Orkan brausen heran und man spürt wie der Boden zitterte und bebte; das dröhnende Einschlagen der schweren Geschosse, das Herabprasseln, der in die Höhe geschleuderten Erdmassen. Man sollte zwar meinen, dass einem der Appetit dabei vergeht, aber ich hatte die ganze Zeit hauptsächlich wegen meines andauernden Durchfalls so wenig gegessen, so dass sich jetzt der Hunger bemerkbar machte. Doch hatte ich nichts Richtiges zum Essen, da dachte ich zuerst an die Mahlzeiten zu Hause. Heiß ersehnt kam endlich die Dämmerung, wo man wieder herauskrabbelte und die steifen Glieder strecken konnte. Infanteriekämpfe fanden während des dritten Tages bei uns nicht statt. Das war auch ein Glück für uns. Ob unsere immer mehr zusammenschrumpfende Kompanie die Stellen hätte halten können, ist immerhin zweifelhaft.
2. September 2016
So waren wir also heilfroh, wie wir morgens zwischen 1:00 und 1:30 von der 4. Kompanie abeglöst wurden. Wir fanden dieses Mal ziemlich leicht den Weg und gelangten ohne stärkeres Feuer in den Foureaux-Riegel. Ich hatte noch ca. 14 Mann in meinem Zug!Ich hatte mit Munzinger als Unterstand eine vier Rahmen tiefe Trppe. Wir bohrten uns noch weiter hinein, so dass wir uns wenigstens zur Not ausstrecken konnten. Mittags bekamen wir plötzlich schweres Granatfeuer von 24 oder 28cm Kaliber, aufgeregtes Hin- und Herlaufen. Rechts neben meinem Unterstand zwei große Granattrichter nebeneinander. Man wusste gar nicht mehr, wo man sich hinflüchten sollte. Munzinger und ich legten uns eine zeitlang in den Granattrichter und gingen dann rechts zur 10. Kompanie rüber. Oberleutnant war schon lange hinauf „geflohen“. Die vielen feindliche Flieger fliegen so tief, dass man sich nicht bewegen darf. Die schwere Schießerei hält auch nachts an, doch legten wir uns in unseren Unterstand.
3. September 2016
An richtigen Schlaf war natürlich nicht zu denken. Um 4:00 morgens musste ich die Essefasser zur Feldküche führen. Dort teilte ein Schnapser aus Bolanden – ich weiss seinen Namen nicht – die Sachen aus. Als wir zurück waren, ich wollte mich gerade in meinem Unterstand ausruhen und schlafen als eine Mordsschiesserei begann: Unser Graben erhielt zwar kein Feuer, aber der Foreaux-Riegel lag wie gestern unter schwerem Granatfeuer. Plötzlich springen rote Leuchtkugeln auf. Unsere Sperrfeuer setzte nicht ein, mal wieder aus Munitionsmangel, oder wie später vermutet wurde, wegen der feindlichen Fliegerbeobachtungen, wegen denen die Artillerie dauernd Stellung wechseln muss. Plötzlich rauchte der ganze Fourrainer Wald wie ein großer Brand hell auf. Gleichzeitig sahen wir auf der Höhe eine Kompanie rechts vorgehen. Oben musste ein heftiger Kampf entbrannt sein. Was konnten wir von Glück sagen, dass wir nicht vor brauchten, während wir unsere Kameraden in den Tod stürzen sahen. Zurückgekehrte Verwundete fragte ich nach Leutnant Krehbiel, da ich wusste, dass das 5. Infanterie-Regiment vorne gelegen war. Da hieß es „Er ist schon gestern gefallen!“ Geschwant hatte es mir tatsächlich schon den ganzen Tag als ich ihn zum letzten Mal in der Below-Stellung am 28. August traf, sagte er zu mir: „Wenn nur die 18 Tage schon herum wären!“ Die arme Mutter! Wird sie’s ertragen können?
4. September 2016
Morgens ging ich mit Max im Gelände herum, vor dem Verbandsplatz neben der Batteribefehlsstelle lagen in einer Reihe ca. sechs Tote, die jedenfalls während des Verbindens gestorben waren. Plötzlich rief mir Max zu: „Dort muss ein Offizier liegen!“ Etwas abseits lag ein Toter mit der Zeltbahn zugedeckt, es schauten nur die zugeknöpften Offiziershosen ohne Schuhe und Gamaschen heraus. Zaghaft öffnete ich, da lag die Erkennungsmarke auf der offenen Brust: Krehbiel Albert. In welchem Zustand er sich befand, sowie mein Schrecken, beschreibe ich hier nicht. Wir untersuchten die Leiche nochmals und fanden nur ein Notizbuch (mit dienstlichen Sachen) und einige Briefe. Dann schaufelten wir ihm neben dann ca. 20 Gräbern ein Grab und legten ihn, in die Zeltbahn eingehüllt hinein. Der Gefreite versprach mir ein schönes Kreuz und Inschrift anzufertigen.
12. September 2016
9:30 Beerdigung Alberts auf dem Soldatenfriedhof von Barastre. Die beiden Pfarrer vom Feldlazarett 9, die ich im Juni kennengelernt hatte, Brigadegeneral Hennigst, Major Löhr, etc. Regimentsmusik „Es ist bestimmt in Gottes Rat.“ Johannes [Alberts Bruder] und ich ließen uns dann von einem Vizefeldwebel der Ortskommandatur am Grab fotografieren. Gerüchte der Ablösung durch die 18. Kompanie. Wir sollen in die Gegend Lille kommen.“